Talking about Art

Wer diesem Blog schon eine Weile folgt, weiß, dass ich Kunstausstellungen – natürlich – um ihrer selbst willen besuche, aber immer wieder auch einfach hingerissen bin von den Menschen, die sich zwischen und in einem natürlichen Dialog mit den Exponaten bewegen, als seien sie von den Kuratoren eigens zu diesem Zweck engagiert worden.

Ganz zu schweigen von den Räumlichkeiten, die Bilder, Plastiken und Betrachter in den Rang eines Gesamtkunstwerks heben können. Selten habe ich dieses raum-zeitliche Zusammentreffen stärker empfunden, nie stärker genossen als kürzlich während der Eröffnung der Henry-Moore-Ausstellung „Vision.Creation.Obsession“ im Hans-Arp-Museum in Remagen-Rolandseck.

Eine tolle Location ist dieses Ensemble aus historischem Bahnhof und modernem Neubau mit weitem Blick über den Rhein bis hinüber zum Siebengebirge. 40 Meter liegt der Neubau des amerikanischen Architekten Richard Meier über dem Bahnhof. Ein Tunnel führt tief in den Berg hinein. Die schlichte Betonröhre wird durch ein Lichtobjekt der Künstlerin Barbara Trautmann erhellt. Am Ende öffnet sich der Raum mit Aufzug und Treppe zu einem lichtdurchfluteten Turm.

Auf drei großzügigen Ausstellungsebenen werden einige von Henry Moores Monumentalskulpturen erstmals im Innenraum präsentiert – und kongenial ergänzt von biomorphen Arbeiten des Gastgebers Hans Arp. Ich will gar nicht viel schreiben über dieses „Rendez-vous des amis“, das noch bis zum 7. Januar 2018 zu sehen ist, nicht viel mehr als: Geht hin, es lohnt sich. Mögen Bilder von der Vernissage sprechen. Und Sätze der beiden Künstler, die ich von den Wänden abschrieb.

Alles, was ich mache, ist dafür bestimmt, groß zu sein.

Henry Moore

Die Wolkenpumpe pumpt unter Freuden die Wolken aus den Röcken. Die Wolkenpumpe pumpt gegen den Kunstrock der Nymphe.

Hans Arp

Ich wanderte durch viele Dinge, Geschöpfe, Welten, und die Welt der Erscheinung begann zu gleiten, zu ziehen und sich zu verwandeln wie in den Märchen.

Hans Arp

Beim Erwachen fand ich auf meinem Modellierblock eine kleine schalkhafte, aufgeweckte Leibhaftigkeit mit dem Bauch einer Laute.

Hans Arp

Wie gesagt: Inspirierende Arbeiten an einem inspirierenden Ort. Befreundet wäre ich vielleicht lieber mit Hans Arp gewesen. Und wie hübsch sich die BesucherInnen gemacht hatten!

Schnee von gestern

Schneegestöber bei 30 Grad im Schatten? Ich mochte meinen Augen kaum trauen, als wir kurz vor Beginn des meteorologischen Sommers durch immer dichteres Flockentreiben den Rhein entlang radelten. Hartnäckig setzte sich die weiße Pracht auf Haut und Kleidung – und wollte trotz der tropischen Temperaturen partout nicht schmelzen. Was da durch die Luft flog und Wege und Sträucher bedeckte, war natürlich kein Schnee. Weil es ganz plötzlich heiß geworden war, hatten vielmehr alle Pappeln der Gegend gleichzeitig ihre Samen auf die Reise geschickt. Das sah aus, als hätte Frau Holle ihre Betten ausgeschüttelt. Und das hatte sie vielleicht ja auch, denn der superleichte Flaum der Pappeln findet tatsächlich als Füllung für Bettdecken Verwendung.

Rheinschleifen

Wie Seide schimmert das überraschend warme Aprillicht, das sich seinen Weg durch die Wolken bahnt. Hoch über dem diesigen Tal wacht mit wehendem Haar Germania, die Kaiserkrone in der erhobenen Rechten, das lorbeerumkränzte Schwert in der gesenkten Linken. 75 Tonnen patriotisches Gedenken an die Reichsgründung 1871 im Rücken, das den heutigen Betrachter mit seiner Monumentalität schier erschlägt, schweift der Blick weich über die Rüdesheimer Weinlagen hinab zum Rhein.

Vor der historischen Kulisse wird gerade ein Bund ganz anderer Art geschlossen.

Wir lassen die eine wie die andere Vereinigung hinter uns, mäandern frei mit dem Fluss durch Wälder und Weinstöcke. Als wir ein paar herrliche Wanderstunden später das Städtchen Lorch erreichen, hat sich längst die Sonne die Kaiserkrone aufs Haupt gesetzt.

Ein Pott voll Farbe

p1170002„Bade deine Füße in Frohsinn“, lese ich auf einem bunten Bild und nicke, sozusagen instant-überzeugt. Wer jemals bis ins Mark durchgefroren von einem ausgiebigen Winterspaziergang zurückgekehrt ist, weiß, dass er seine unteren Extremitäten wiederbeleben muss, der Rest kommt dann von ganz allein. Langsam kriecht die Wärme die Schenkel hoch, füllt erst den Po und dann den Rumpf, strömt weiter in die Arme und Hände und ganz zuletzt auch in den Kopf. So ähnlich stelle ich es mir vor, wenn man seine Füße in Frohsinn badet.

p1160964Gefunden habe ich den Satz im Essener Unperfekthaus. Über das vor zwölf Jahren gegründete UpH weiß ich nicht viel mehr als das, was man zum Beispiel bei Wikipedia nachlesen kann. Das Haus in der City bietet Gastronomie, Tagungsräume und ein „WG-Hotel“. Im Mittelpunkt aber steht das „Künstlerdorf“: Auf 4000 Quadratmetern, verteilt auf sieben Etagen über und unter der Erde, finden allerlei Kreative Raum zur Verwirklichung ihrer Ideen. Auf Vorgaben wird verzichtet; Bedingung ist lediglich, dass die Aktivitäten legal, interessant für mögliche Zuschauer und offen für Publikum sind. Denn die Besucher sind wichtiger Bestandteil des Konzepts, Begegnungen zu schaffen: Inspiration für die Gäste, Bühne und potentielle Kunden für die Kreativen.

p1170006Wie gut das Konzept funktioniert, kann ich nach einem Besuch nicht beurteilen, zumal zwar viel Kunst zu sehen war aber nicht so viele Menschen, die sie schaffen. Eine gute Portion Frohsinn habe ich beim Herumstromern auf jeden Fall getankt.

p1160995Weil es überall so schön bunt ist.

p1170008Und unaufgeräumt.

p1160989Und weil es auch da, wo gerade niemand war, so aussah, als würde gleich etwas passieren.

p1160984Wegen Mr. Ruhrpott im Treppenhaus natürlich.

p1160988Und ein bisschen auch wegen der klassenkämpferischen Preisgestaltung. Dat dat dat noch gibt!

Ein Pott voll Worte

p1170212„Da bisse vonne Socken!“ tönt es in diesem typischen Singsang, kaum habe ich in der S-Bahn Richtung Köln-Nippes Platz genommen. „Hömma!“ ergänze ich im Geist (unvollkommen die Landesmutter imitierend) und muss grinsen. „Schantall, tumma die Omma winken!“ Das hat die Frau natürlich gar nicht gesagt, die in der Sitzgruppe schräg hinter mir mit der einen Hand das Smartphone ans Ohr und mit der anderen den Hackenporsche an die Fußknöchel presst, während sie ohne Punkt und Komma melodisch auf ihr unsichtbares Gegenüber einredet. Tatsächlich findet sie, dass es gut wäre, wenn der (oder die?) erstmal mit dem Matthias reden würde. Aber das, finde wiederum ich, ergibt einfach keine Geschichte. Ob auswärtige Besucher meiner Heimatstadt Hamburg sich wohl manchmal wie im Ohnsorg-Theater fühlen?

Im Niemandsland

P1140338P1140325Na, die machen aber wirklich deutlich, dass sie gern mal einen heben! Verblüfft schaue ich auf das ovale Schild an der Hauswand zu meiner Linken. „Freistaat Flaschenhals“ steht dort in dicken Lettern. Dazwischen zwei aufrechte, aber offenbar schon etwas angeschickerte Löwen mit einem Römer in der Pranke, aus dem in hohem Bogen der Rebsaft spritzt. Freundin Anne weiß es besser. Kostverächter lebten hier im Rheingau sicher nicht, stimmt sie mir zu, aber mit dem Freistaat habe es doch eine ganz andere sehr spezielle Bewandtnis. Und während wir im weichen Aprilregen hügelauf und hügelab die Rheinsteig-Etappe von Kaub nach St. Goarshausen laufen, erzählt sie mir die Geschichte, die man für einen Aprilscherz halten möchte, wäre es nicht beinah schon Mai.

P1140329Begonnen hatte es im November 1918 mit dem Waffenstillstandsabkommen von Compiègne, das die Kampfhandlungen im Ersten Weltkrieg beendete. Das Abkommen regelte den vollständigen Abzug aller deutschen Truppen aus den besetzten Gebieten in Belgien, Luxemburg und Frankreich sowie aus Elsass-Lothringen. Außerdem sah es vor, dass die Westmächte das linke Rheinufer und zusätzlich drei rechts des Rheins gelegene Brückenköpfe kontrollierten um zu verhindern, dass das Deutsche Reich die vorhandenen Bodenschätze und Industrieanlagen für eine Wiederaufrüstung nutzte. Bei der Planung der Besatzungszonen zogen die Kartografen um die Städte Köln, Koblenz und Mainz Halbkreise mit einem Radius von jeweils 30 Kilometern in der Annahme, dass diese einander berühren bzw. überlappen würden. Tatsächlich blieb aufgrund eines Rechenfehlers ein Landstreifen vom Rheintal bis hinauf nach Limburg an der Lahn übrig, der zu keinem der Besatzungsgebiete gehörte, aber auch vom Deutschen Reich komplett abgeschnitten war. Geformt war dieses Niemandsland mit etwas Phantasie wie ein Flaschenhals. An der schmalsten Stelle war es nicht einmal einen Kilometer breit, aber von 17.000 Menschen bewohnt, die ohne weiteres bei Asterix und seinen Galliern hätten mitmischen können. Ich zitiere aus einem Beitrag des WDR vom 10. Januar 2009:

karte„Plötzlich vom restlichen Deutschland abgeschnitten und quasi neutral, nutzen die Bürger der Städtchen Kaub und Lorch die kuriose Lage auf ihre Weise. Unter Führung ihres patriotisch gesinnten Bürgermeisters Pnischeck rufen sie am 10. Januar 1919 den ‚Freistaat Flaschenhals‘ aus. ‚Wir wünschen, dass zwischen Bonn und Mainz wenigstens noch ein Streifen wirklichen deutschen Rheines verbleiben soll, frei von jedem welschen Einfluss‘, telegrafiert Pnischeck selbstbewusst an die deutsche Waffenstillstandskommission. Wie ein kleiner König stampft der umtriebige Bürgermeister eine Verwaltungsstruktur für seinen Freistaat aus dem Boden und lässt sogar eigene Geldscheine drucken – mit spöttischen Sprüchen gegen den verhassten ‚Franzmann‘. Seine ‚Untertanen‘, von denen fast jeder einen eigenen Weinberg und meist noch eine Brennerei besitzt, nutzen ihren rechtsfreien Status gehörig aus und beginnen einen regen Schmuggelhandel.

Nachts treiben Bauern ihr Vieh aus den besetzten Gebieten in den Freistaat und werden mit Wein und Schnaps entlohnt. Von den in Lorch vor Anker liegenden Frachtkähnen verschwinden zentnerweise Mehl, Getreide oder Salz und finden auf Knüppelpfaden bei Nacht und Nebel ihren Weg ins Besatzerland. Um die Freistaatler zu schikanieren, stellen die düpierten Franzosen auf ihrer Rheinseite Suchscheinwerfer auf und leuchten in der Nacht das Flussufer ab. Schmuggler entdecken sie dabei selten, dafür aber immer wieder Lorcher Jugendliche, die ihnen mit heruntergelassenen Hosen das Hinterteil entgegenstrecken.“

P1140356Ende Februar 1923 war Schluss mit der Freistaat-Herrlichkeit. Weil das Deutsche Reich mit den Reparationsleistungen von Kohle und Holz nicht nachkam, besetzten alliierte Truppen das Ruhrgebiet und die Franzosen den verhassten Flaschenhals. Als sie im November 1924 schließlich wieder abzogen, ging der Freistaat endgültig in der Weimarer Republik auf. 70 Jahre später besannen sich Winzer, Hoteliers und Gastronomen aus Lorch und Kaub auf das Erbe und gründeten die Freistaat Flaschenhals Initiative – ähnlich selbstbewusst wie die Vorfahren mit einer eigenen Regierung, einem Präsidenten und einem Haufen Ministerien. Wer mag, erkauft sich bei der Initiative, deren Website ich die historische Karte der Brückenköpfe Koblenz und Mainz entnommen habe, die doppelte Staatsbürgerschaft und erhält dafür neben einem Reisepass die Möglichkeit, im Rahmen eines mehrgängigen Menüs regionale Weine und Destillate zu verkosten.

P1140381Den passenden Thron für Freistaatler fanden wir später in Frankfurt in der Mainuferanlage. „Du musst dich schon ordentlich hinstellen“, forderte mich Anne auf, als ich auf dem kalten Sockel aus Sandstein Platz nahm. Ordentlich bedeutete: Wie ein richtiges Denkmal. Ein „Ich-Denkmal“. So heißt die Skulptur des Satirikers und Cartoonisten Hans Traxler. Das imposante Stehen habe ich natürlich versucht, musste aber feststellen: Der Generation Selfie fällt eine ordentliche Siegerpose offenbar leichter als mir.

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Zum Weiterlesen:

Stephanie Zibell, Peter Josef Bahles: Der Freistaat Flaschenhals. Historisches und Histörchen aus der Zeit zwischen 1918 und 1923. Frankfurt am Main 2009.

Kölsche Begegnungen

P1140099Vor der Kirchenmauer fährt eine junge Frau den rechten Arm aus für das obligatorische Selbstbildnis. Am linken baumelt körpernah ein roter Taschenschirm wie ein Faltenröckchen. Wächter mit Kopfhörern im Ohr entsorgen abgebrannte Kerzen. Auch sie rot-berobt und routiniert: Domschweizer. Bei uns im Norden nannte man früher die Melker nach den Eidgenossen: Stallschweizer.

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Zwei Laugenstangen mit Kürbiskernen, bitte! Die Verkäuferin schaut die Ware an, dann mich: Ich lasse sie Ihnen billiger, da sind ja kaum Kerne drauf. – Das Ticket für die Stadtbahn gibt es gleich nebenan im Kiosk. Musse noch entwerten, ruft mir die dralle Blondine hinter dem Tresen nach.

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Der Melaten-Friedhof hat an diesem Tag zwei Mauern – vor der steinernen noch eine locker-bewegte aus Polizistenkörpern. Werden hier eigentlich nur Promis beerdigt? frage ich den Uniformierten am Haupteingang. Nä, dat es für jeden, für Promis, für Sie, für mich, sojar für Düsseldorfer. – Ömesöns es dä Dud.

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