So lebendig, so vergänglich

Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,
drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;
jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,
liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.

Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte;
wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau’s?
Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.
Wehe -: abwesender Hammer holt aus!


Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung;
und sie führt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,
das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt.


Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung,
den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne
will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.

Rainer Maria Rilke, 12. Sonett aus dem Zweiten Teil der Sonette an Orpheus

Rilkes Sonett über die Vergänglichkeit kam mir in den Sinn, als ich kürzlich auf dem herrlichen Skulpturenpfad hinter dem WaldHaus an der Wonnhalde in Freiburg im Breisgau herumspazierte. So viel Leben hat der Holzkünstler Thomas Rees seinen aus alten Bäumen gefertigten „WaldMenschen“ eingehaucht, es ist eine Pracht! Schau dir nur mal die geblähten Nüstern des Pferdes des vierten apokalyptischen Reiters auf dem Bild oben an. Du meinst glatt, es schnauben zu hören. Der riesige Drache, Schneewittchen mit den sieben Zwergen, die an der holden Maid zu kleben scheinen, die Tanzenden, die Alten, all die knorpseligen, mal mehr, mal weniger menschenähnlichen Wesen und Gestalten stecken voller Leben. Und sind zugleich wunderbar vergänglich. Den Langnasen ist ihr hölzernes Riechorgan längst abhanden gekommen. Moos bedeckt viele der Skulpturen, die so allmählich mit der grünen Umgebung verwachsen. Aber Vorsicht: Dieser Wald hat Augen…

Ganz in Grün

Ein neonfarbener Wandertag.

Abends fangfrischer Edersee-Zander auf Blattspinat.

Und dazu Mareike Fallwickls faszinierender Erstling „Dunkelgrün fast schwarz.“

„Die Wohnzimmertür ist angelehnt, er drückt sie vorsichtig auf, steckt den Kopf hinein. Und jetzt, ohne das Licht, kann er deutlich sehen, was er vorhin schon vermutet hat. Das Grün ist dunkler geworden, viel dunkler, tief und massiv, fast schwarz. Es füllt den Raum, bis an die Decke strahlt es. Einst war Raffael knospengrün, raupengrün, wie Zuckererbsen in ihrer frisch geöffneten Schote, an manchen Tagen limonenhell. Schwarze Flecken hat das Grün bekommen, wie Schimmel. Moritz steht da und schaut und kann doch, was er sieht, nicht verstehen. Etwas ist passiert. Er weiß, dass Raffael nicht schläft. Er erkennt es an den aufleuchtenden Spritzern, die durch das Grün schießen. Keiner sagt ein Wort.“

Ein Duft und Windeswehen

Dass das Schöne und Berückende
Nur ein Hauch und Schauer sei,
Dass das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Dass sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer.
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd, sie gleichen
Uns Vergänglichen nicht, erreichen
Nicht das Innerste der Seelen.
Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
Zugeneigt, stets nah am Sterben,
Und das Köstlichste: die Töne
Der Musik, die im Entstehen
Schon enteilen, schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet schon und rinnt von dannen.
So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben,
Eines Wolkenspieles Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweggeflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
Das uns im Vorübergehen
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten
Oder wehtun kann. Wir lieben,
Was uns gleich ist, und verstehen,
Was der Wind in Sand geschrieben.

Hermann Hesse: In Sand geschrieben

Mit Bäumen reden

… und die ewigen Bahnen
Lächelnd über uns hin zögen die Herrscher der Welt,

Sonne und Mond und Sterne, und auch die Blitze der Wolken
Spielten, des Augenblicks feurige Kinder, um uns,
Aber in unsrem Innern, ein Bild der Fürsten des Himmels,
Wandelte neidlos der Gott unserer Liebe dahin,

Und er mischte den Duft, die reine, heilige Seele,
Die, von des Frühlinges silberner Stunde genährt,
Oft überströmte, hinaus ins glänzende Meer des Tages,
Und in das Abendrot und in die Wogen der Nacht,

Ach! wir lebten so frei im innig unendlichen Leben,
Unbekümmert und still, selber ein seliger Traum,
Jetzt uns selber genug und jetzt ins Weite verfliegend,
Aber im Innersten doch immer lebendig und eins.

Glücklicher Baum! wie lange, wie lange könnt ich noch singen
Und vergehen im Blick auf dein erbebendes Haupt,
Aber siehe! dort regt sichs, es wandeln in Schleiern die Jungfraun
Und wer weiß es, vielleicht wäre mein Mädchen dabei;

Laß mich, laß mich, ich muß – lebwohl! es reißt mich ins Leben,
Daß ich im kindischen Gang folge der lieblichen Spur,
Aber du Guter, dich will, dich will ich nimmer vergessen,
Ewig bist du und bleibst meiner Geliebtesten Bild.

Und käm einmal ein Tag, wo sie die meinige wäre,
O! dann ruht ich mit ihr, unter dir, Freundlicher, aus
Und du zürnetest nicht, du gössest Schatten und Düfte
Und ein rauschendes Lied über die Glücklichen aus.

Friedrich Hölderlin: An einen Baum

Zur Melodie der Dinge

Ganz am Anfang sind wir, siehst du.

Wie vor allem. Mit tausend und einem Traum hinter uns und ohne Tat.

Ich kann mir kein seligeres Wissen denken, als dieses eine:

dass man ein Beginner werden muss.

Einer, der das erste Wort schreibt hinter einen jahrhundertelangen Gedankenstrich.

Rainer Maria Rilke: Notizen zur Melodie der Dinge