So schmeckt der Sommer

„Südfrucht vergeht, saure Gurke besteht.“ Ursprünglich soll der flotte Reim einen Gurkenzucht-Kalender geziert haben. Jetzt, mehr als hundert Jahre später, ist er das Motto einer Dauerausstellung zur Spreewaldgurke in begehbaren Fässern im Freilandmuseum des Dörfchens Lehde. Ohne saure Gurke geht im Spreewald gar nichts. Ob auf dem Teller, als Kennzeichen für den gleichnamigen Radweg, als Schlüsselanhänger oder Tannenbaumschmuck. Kein Scherz, sondern ein lustiges Spiel für die ganze Familie: Wer die vor der Bescherung im Baum versteckte Blechgurke als Erster entdeckt, darf sich über ein kleines Extra-Geschenk freuen.

P1060511Also, ich finde, die saure Gurke ist überbewertet. Aber ich bekenne, dass ich bei meinem Aufenthalt im Spreewald nicht nur dessen landschaftlichen Reizen erlag, sondern auch einer neuen kulinarischen Leidenschaft verfiel: Straupitzer Leinöl, frisch aus der letzten produzierenden Dreifachwindmühle Europas mit Mahl-, Öl- und Sägemühle. Ist das lecker! Es schmeckt leicht nussig, wunderbar cremig und milde. Und es riecht wie eine abgemähte Wiese, kurz bevor das trockene Heu abgefahren wird … mmmh! Sehr zu empfehlen zum Beispiel mit Pellkartoffeln und Quark. („Leinöl und Quark macht den Spreewälder stark, Quark alleene macht krumme Beene!“) Und dank seines hohen Anteils an Omega-3-Fettsäuren ist Leinöl auch noch soooo gesund: Es macht jung und schön, klug – und glücklich. Ich bin mir sicher, lange wird es nicht dauern, bis mich keiner mehr wiedererkennt!

P.S. Ein Foto vom Tannenbaumschmuck kann ich leider nicht posten. Ich habe zwar vier gemacht, aber sie sind alle unscharf geworden. Meine Kamera ist manchmal recht eigenwillig, so als wollte sie sagen: Das meinst du jetzt aber nicht ernst, oder? Dafür gibt es ein Bild von der Windmühle in Straupitz. Das ist zwar auch unscharf, aber das soll so. Schließlich haben sich die Flügel bewegt.

Kahn an Kahn

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„Und dass dem Netze dieser Spreekanäle
nichts von dem Zauber von Venedig fehle,
durchfurcht das endlos lange Flussrevier
mit seinem Kahn der Spreewaldgondolier.“

Theodor Fontane

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Besonders hoch ist die Kahn-Dichte in Lehde, das heute zur Stadt Lübbenau gehört. Das Dorf beherbergt ein Freilandmuseum mit altwendischen Bauernhöfen aus dem gesamten Spreewald und der ältesten Kahnbauerei des Ortes, mutet aber insgesamt ein wenig museal an, so groß ist die Idylle. Jedes Grundstück hat Zugang zu einem der vielen Wasserläufe, die das Dorf wie ein überdimensionales Spinnennetz durchziehen.

P1060377Deshalb sind auf den Fließen und Kanälen auch nicht nur Touristen-Kähne (und Paddler) anzutreffen. Die Einwohner transportieren bis heute Lasten aller Art auf dem Wasserweg – wenn auch nicht immer mit Hilfe des „Rudel“, der aus Eschenholz gefertigten vier Meter langen Stange, mit der der Fährmann seinen (oder die Fährfrau ihren) Kahn durch das zwischen 70 Zentimetern und einem Meter flache Wasser stakt und dabei gleichzeitig lenkt. Auch die Post wird mit dem Postkahn zugestellt, und die örtliche Feuerwehr („Gott zur Ehr und dem Nächsten zur Wehr“) verfügt natürlich über einen Löschkahn.

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Uschi und Fontane

P1060204„Jeder kennt die langgestreckten Laubgänge, die sich unter dem Namen ‚Poetensteige‘ in allen altfranzösischen Parkanlagen vorfinden. Ein solcher Poetensteig ist nun der Kanal, der eben jetzt in seiner ganzen Länge vor uns liegt, und ein niedriges und dicht gewölbtes Laubdach über uns, so gleiten wir im Boot die Straße hinauf, die nach Art einer Tute sich zuspitzend an ihrem äußersten Ausgang ein phantastisch-verkleinertes und nur noch halb erkennbares Pflanzengewirr zeigt. Alles in einem wunderbaren Licht…“

P1060194Besser als mit den Worten Theodor Fontanes lässt sich der Zauber des Spreewalds mit seinen Hunderten von Fließen und Kanälen kaum beschreiben. Besonders zauberhaft, da bin ich mit dem Dichter einig, ist das Wasserlabyrinth im Hochwald zwischen Lübbenau und Straupitz. Fontane bewegte sich im August 1859 im Flachkahn das verwunschene Nordfließ hinauf, ich radele den schmalen Pfad unmittelbar am Ufer entlang und schiebe, wo der Schlamm allzu tief ist. Kaum ein Wanderer, kaum ein Paddler kreuzt meinen Weg, nur das satte Schmatzen fallender Kastanien und Eicheln beim Durchschlagen der Wasseroberfläche unterbricht gelegentlich die Stille.

Wo Nordfließ sich und Groß’ Fließ küssen, war für Fontane damals die Reise zu Ende: Im Gasthaus Eiche tischte die freundliche Wirtin Frau Schenker dem Dichter einen Hecht auf, der offenbar mit allerlei Trinksprüchen zum Schwimmen gebracht wurde: „Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einer Schleie, / der Fisch will trinken, gebt ihm was, dass er vor Durst nicht schreie.“

P1060211Die Eiche gibt es heute noch. Meine „Frau Schenker“ heißt Uschi und arbeitet als Aushilfe im zu dem Waldhotel gehörenden Kiosk. Kaffee kochen, Würstchen heiß machen, Paddelboote herausgeben, das sind ihre Aufgaben. Mit einer Festanstellung wird es mit ihren beinahe 60 Jahren wohl nichts mehr werden, meint Uschi. Allzu große Sorgen scheint dies der sympathischen Frau mit dem ansteckenden Lachen nicht zu bereiten. Sie ist es gewohnt zu improvisieren, hat gekellnert, Zeitungen ausgetragen und allerlei Früchte zu Marmelade und Likören verarbeitet. Hat auf der Maschine Pullover gestrickt – wenn es sein musste Tag und Nacht. Das war noch zu DDR-Zeiten. Der Erlös floss in Ersatzteile für den Trabi und was die Familie sonst noch so brauchte.

Der Kaffee ist ausgetrunken. Ich lasse Uschi und Theodor Fontane in der Eiche zurück und mache mich auf die Suche nach weiterem Spreewald-Zauber. Entlang der schmalen Allee zwischen Hauptspree und Leiper Weggraben werde ich noch einmal so richtig fündig:

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Der Himmel so weit

P1060438Knallblauer Himmel, Sonne, Schäfchenwolken. Ein Wetter, um Helden zu zeugen, hätte meine Oma gesagt. Allerdings wohl besser nicht im Freien. Nachts hatte es den ersten Bodenfrost gegeben. Minus drei Grad. Mein Fahrrad hinterließ noch am mittleren Vormittag eine deutliche Spur im Raureif auf den Holzbohlen durch die Spreeaue nördlich von Lübbenau, und ich war dankbar für dicke Jacke und Handschuhe.

P1060451Später auf dem Weg nach Schlepzig, der „Perle des Unterspreewalds“, zwischen Spree und den Teichen der Peitzer Edelfisch Handelsgesellschaft, war es überraschend warm genug für ein Picknick im Freien. Helden zu zeugen wäre auch möglich gewesen, denke ich, ich habe es nicht ausprobiert.

P1060453Bin stattdessen immer weiter geradelt. Bis zur Dorfkirche von Schlepzig, in der der Organist gerade für den nächsten Gottesdienst übte. Ich setzte mich in eine der Bänke und staunte. Da hatte einer genau das an die Decke gemalt, was ich den Tag über gesehen hatte (und auf dem Rückweg noch zu sehen bekam).

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