Hier erzähle ich über Stadtspaziergänge und Exkursionen ins Hamburger Umland ebenso wie über (Tages-)Ausflüge z.B. an Nord- und Ostsee oder in die Lüneburger Heide. Bilder weiterer Streifzüge gibt es unter „Fotografie und Poesie“.
Ich folgte der Ilmenau, einem Nebenfluss der Elbe, auf ihrem kurvenreichen Weg von Bienenbüttel nach Lüneburg. Beide Orte sind in einer Bahnstunde von Hamburg aus zu erreichen. Am halbschattigen Waldrand lässt es sich auch an warmen Tagen gut spazieren oder einfach nur sein. Und wer um Hohenbostel herum die meisten Skulpturen entdeckt, hat gewonnen.
Wenn einer fortgeht, muss er den Hut mit den Muscheln, die er sommerüber gesammelt hat, ins Meer werfen und fahren mit wehendem Haar,
er muss den Tisch, den er seiner Liebe deckte, ins Meer stürzen, er muss den Rest des Weins, der im Glas blieb, ins Meer schütten,
er muss den Fischen sein Brot geben und einen Tropfen Blut ins Meer mischen, er muss sein Messer gut in die Wellen treiben und seinen Schuh versenken, Herz, Anker und Kreuz, und fahren mit wehendem Haar!
Dann wird er wiederkommen. Wann? Frag nicht. …
Ingeborg Bachmann: Lieder von einer Insel
Es war ein Tag, an dem die Jahreszeiten miteinander rangen. Im frischen Morgenwind umflügelten Schwäne zart den eigenen Kopf. Nixen räkelten den smaragdgrünen Leib auf nieselfeuchten Steinen, die mählich in der Sonne trockneten. Weit ging der Blick hinaus aufs Meer und zugleich tief ins Innere. Die alte Eule lächelte wissend.
„… und nichts zu suchen, das war mein Sinn…“, als ich für ein paar Tage an die Ostsee fuhr. Es sind bisweilen dies die Momente, die die schönsten Geschenke bereithalten.
„Hat einer das Jesuskind gesehen?“ – Während des Gottesdienstes am frühen Nachmittag war es noch da, erinnert sich einer der Aushilfsküster. Jetzt ist die Krippe leer.
„Und der Engel sprach zu den Hirten auf dem Feld“, liest der Pastor. Und dann fügt er ein paar Worte an, die man so nicht direkt in der Weihnachtsgeschichte nach dem Evangelisten Lukas findet: „Er sagte, was Engel immer als erstes sagen, wenn sie fremden Menschen begegnen: ‚Fürchtet euch nicht!‘“
Später singen wir „Es ist ein Ros` entsprungen“. Nie kann ich die zweite Strophe hören, ohne zu schmunzeln. Die Mutter erzählte gern, dass sie als Kind ein paar Weihnachten lang sang: „Marie, die reinemacht…“. Ein wenig staunend zwar, aber frei von Zweifeln. Unter einer „reinen Magd“ hätte sie sich nichts vorstellen können, ein Mädchen mit häuslichen Pflichten war ihr vertraut.
Auf dem überdimensionalen Fernsehbildschirm im Wohnzimmer der syrischen Freundin, die genauso heißt wie die Muttergottes, läuft eine Aufzeichnung aus einem kurdischen Dorf. In dem Dorf leben Verwandte, erzählt Maryam. Sie spult vor, bis zwischen flachen Lehmbauten eine alte Frau auftaucht, die vielleicht noch gar nicht so alt ist, wie sie aussieht. Eine Tante von Maryam. 14 Kinder hat sie geboren, neun Mädchen und fünf Jungen. Einige hat sie selbst entbunden. Hochschwanger ging sie morgens zur Feldarbeit aus dem Haus, mit einem Baby auf dem Arm kehrte sie später zurück. Und die Nabelschnur? Maryam klopft kurz und fest auf den Tisch. Mit einem scharfen Stein durchtrennt.
Das Jesuskind ist bis zur Mitternachtsmesse nicht wieder aufgetaucht. Das Krippenbild und die Engel in diesem Beitrag entdeckte ich bei einem Schaufensterbummel in Hamburg-Eppendorf. Leider weiß ich nicht, wer die Künstler sind. Ich hoffe, sie haben nichts dagegen, dass ich ihre Werke hier zeige.
Etwas aus den nebelsatten Lüften löste sich und wuchs über Nacht als weißer Schatten eng um Tanne, Baum und Buchs.
Und erglänzte wie das Weiche Weiße, das aus Wolken fällt, und erlöste stumm in bleiche Schönheit eine dunkle Welt.
Gottfried Benn: Rauhreif (1912)
„Rauhreif“ ist vielleicht nicht Gottfried Benns stärkstes Gedicht, aber doch anrührend, finde ich. Und allemal passend zu der Punktlandung, die der Wettergott in Hamburg zur Wintersonnenwende hinlegte.
Doctor Schein und Doctor Sinn gingen ins Café; Schein bestellte Doppel-Gin, Sinn bestellte Tee.
Seitlich von dem Plauderzweck Nahmen sie dabei: Schein – verlognes Schaumgebäck; Sinn – verlornes Ei.
Dialog ward Zaubertext, Nekromantenspiel; Zwieseits wurde hingehext, Was dem Geist gefiel,
Was dem Sinn Erscheinung schien, Was der Schein ersann. Schein gab Sinn, und dieser ihn, Und die Zeit verrann.
Und die Stunde kam herein Leis’ des Dämmerlichts. Schein verging zu Lampenschein Sinn verging zu Nichts.
Ferdinand Hardekopf (1876-1954): Zwiegespräch
Ferdinand Hardekopfs wundervolles „Zwiegespräch“ fand ich in dem leider nur noch antiquarisch erhältlichen schmalen Band „Wir Gespenster“, das der Arche-Verlag 2004 zum 50. Todestag des expressionistischen Dichters herausbrachte. Ich habe mir erlaubt, die Begegnung von Doctor Schein und Doctor Sinn vom Café in die Carlshütte im schleswig-holsteinischen Büdelsdorf zu verlegen. In der alten Eisengießerei und draußen im Park lädt noch bis zum 10. Oktober die diesjährige NordArt zum phantasievollen Zwiegespräch mit allerlei zeitgenössischer Kunst, in dem gelegentlich ebenfalls die engen Grenzen von Schein und Sinn zerfließen. Anfassen (meistens) erlaubt.
Wie müde ich bin, merkte ich erst unterwegs. Ich merkte es vor allem daran, wie wenig ich sah. Die Landschaft war durchaus hübsch, aber sie ordnete sich nicht wie sonst, sie drang nicht durch durch diesen zähen Schleier aus Pandemie, aus kleinen Blasen und immer tieferen Gräben, aus Sintflut und apokalyptischem Feuer. Schon so lang… Und nun auch noch Afghanistan… ach, es ist eine Schande! – Normalerweise reicht mir ein Tag in der Natur, um den unruhigen erschöpften Geist zu erden und wiederzubeleben, um die Verbindung zu spüren, die ja immer da ist, auch wenn man sie gerade nicht wahrnimmt. Inzwischen sind es wohl besser zwei.
Am zweiten Tag dräute der Himmel immer noch, aber er fiel mir nicht mehr auf den Kopf.
Stattdessen erzählten die Bäume von Zuneigung und das Rind auf der Weide von Ruhe und Kraft.
Manche Wege führten gut geschützt und licht geradeaus, andere scheinbar im Kreis und wieder andere ins Dickicht, ganz wie im wahren Leben.
Ich erfuhr, dass es mitten im Brachland Kultur gibt, sogar mit Beleuchtung, und schmunzelte über das Bedürfnis mancher Menschen, eine Idylle noch ein bisschen idyllischer zu machen.
Und während die Füße Kilometer um Kilometer dem Lauf der Schwentine und dem sanften Rollen der Hügel durch die Holsteinische Schweiz folgten, wurde ganz allmählich auch der Blick wieder weicher und weiter.
Die Fotos entstanden auf dem Fernwanderwegs E 1 zwischen Kiel und Plön.
Hätte sie sich nicht eine so exponierte Stelle ausgesucht, die Libelle wäre unserer Aufmerksamkeit ziemlich sicher entgangen. Vollkommen bewegungslos standen ihre filigranen blassen Flügel in der Luft, die an diesem diesig-feuchten Sonntag im Hamburger Wittmoor ebenfalls den Atem anzuhalten schien. Sie war doch nicht tot? Fasziniert betrachtete ich wohl einige Minuten lang das Szenario am Moorsee. Ich sah – und verstand doch nicht, was ich sah. Selbst als mein Blick auf eine weitere bewegungslose Libelle fiel und ein bräunliches Gebilde darunter, dachte ich nur tumb: Was macht denn die Heuschrecke bei der Libelle? Und wieso ist die Heuschrecke tot?
Erst als ich weitere solcher Libellen-“Heuschrecken“-Paare bemerkte, dämmerte es allmählich: Natürlich! Das waren Larven, die sich gerade zum allerletzten Mal häuteten! Wie ich inzwischen nachgelesen habe, häuten sich Libellenlarven im Laufe ihres Wachstums bis zu siebzehn Mal, die ersten bis zu sechzehn Mal im Wasser. In der Regel dauert das Larvenstadium ein bis zwei Jahre, bei manchen Arten auch deutlich länger. Ganz am Ende geschieht, was ich zuvor noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte: Die Larven suchen sich einen Pflanzenstängel oder einen anderen geeigneten Schlupfplatz am Ufer, ihre Haut platzt, die erwachsene Libelle arbeitet sich heraus, entfaltet die Flügel – und hebt ab. Zurück bleibt die Hülle, die nun nicht mehr nötig ist. Zeuge der Jungfernflüge wurden wir leider nicht. Ich vermute, den Libellen steckte die Anstrengung der Metamorphose noch in den zarten Leibern.
Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll, ein Fischer saß daran, sah nach dem Angel ruhevoll, kühl bis ans Herz hinan. Und wie er sitzt und wie er lauscht, teilt sich die Flut empor; aus dem bewegten Wasser rauscht ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: Was lockst du meine Brut mit Menschenwitz und Menschenlist hinauf in Todesglut? Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist so wohlig auf dem Grund, du stiegst herunter, wie du bist, und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht, der Mond sich nicht im Meer? Kehrt wellenatmend ihr Gesicht nicht doppelt schöner her? Lockt dich der tiefe Himmel nicht, das feuchtverklärte Blau? Lockt dich dein eigen Angesicht nicht her in ew’gen Tau?
Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll, netzt‘ ihm den nackten Fuß; sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll, wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; da war’s um ihn geschehn: Halb zog sie ihn, halb sank er hin und ward nicht mehr gesehn.
Johann Wolfgang von Goethe: Der Fischer
Es muss an dem ständigen Auf und Ab auf den schmalen Waldpfaden durch das idyllische Billetal gelegen haben, dass mir das in Übermannshöhe an einem Baumstamm befestigte kleine Schild überhaupt auffiel: „Angeln verboten“. Klar, kein Problem, auch wenn sich mir nicht ganz erschloss, an wen sich das luftige Verbot wohl richtete. Die Fische im schleswig-holsteinischen Sachsenwald wird es allemal freuen – und bestimmt auch das Fischweib, dessen Reizen und Werben der fischende Goethe dermaleinst erlag. „Halb zog sie ihn, halb sank er hin / und ward nicht mehr gesehn.“ Was für eine reiche Quelle für unseren Zitatenschatz sind doch bis heute die Balladen der Herren Goethe und Schiller!
Einer japanischen Legende zufolge lebt der Kranich tausend Jahre und ist ein Symbol für Glück und Gesundheit. Wer im Land der Kirschblüten einen gefalteten Kranich verschenkt, wünscht dem Beschenkten damit tausend Jahre Glück und Gesundheit. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich fühle mich jedes Mal ein kleines bisschen glücklicher, wenn ich den heiseren Ruf der Kraniche über mir höre. Gestern begleiteten mich die Glücksvögel im Nienwohlder Moor nahe dem schleswig-holsteinischen Itzstedt auf einer Wanderung durch die Zeiten.
Bei strahlendem Sonnenschein war ich in Hamburg aufgebrochen. Das Moor und die angrenzenden Felder und Wiesen lagen noch am Mittag unter einer wattigen Nebeldecke.
Äcker mündeten ins Leere. Kahle Äste verloren sich im Unendlichen.
Ganz zaghaft begann die Sonne, sich ihren Weg durch die feuchten Schleier zu bahnen. Die eroberten das verlorene Terrain Mal um Mal zurück, doch auch die Sonne gab nicht auf.
Endlich war kein Halten mehr. Gleißendes Licht ergoss sich über die Flur. Die Rohrkolben in ihrem dicken „Pelz“ kamen ordentlich ins Schwitzen.
Auch die Galloways auf der Weide juckte erkennbar das Fell.