Sommer, herbstfarben

Kurzen Sommer blüht die Blume,
Denn das Schöne währt nicht lang,
Schwach Gedächtnis bleibt vom Ruhme,
Jubel schwindet und Gesang.

Blumen welken, Mädchen altern,
Folgsam ewigem Gesetz,
Jugend bannt man nicht mit Psaltern,
Und die Dauer bleibt Geschwätz.

Deshalb wollen wir zur Neige
Schlürfen jeden Augenblick;
Blau der Himmel, grün die Zweige,
Sei nicht dumm und preis das Glück!

Ferdinand Sauter (1804-1854), österreichischer Dichter: Sei nicht dumm

Gedanken im Sommer

Im Sommer / nachts / in der Hütte / am Meer / roch ich im Luftzug vom Fenster / plötzlich / den Schnee

und ich hatte Angst / das Meer könnte sich / bis zum Morgen verwandeln / in eine Wüste aus Eis

Im Sommer / nachts / in der Hütte / am Meer / schreckte ich hoch / und hatte Angst / das Morgenlicht / könnte ausbleiben / die Nacht bliebe Nacht

und dieses Jahr ginge zu Ende / mit Kälte und Dunkelheit

Paul Kersten: Im Sommer

Es sind wohl die (wieder) steigenden Zahlen von Corona-Kranken und -Toten, die mich beunruhigen. Dass Urlauber am Mittelmeer, wo man gerade noch Leichen stapelte, fröhlich Massenbesäufnisse feiern, dass auch in deutschen Städten Tausende auf Tuchfühlung cornern, als gäbe es kein Morgen, macht mich… nein, wütend trifft es nicht. Dafür bin ich zu müde. Aber fassungslos macht mich, wie leichtfertig wir das zarte Pflänzchen zu zerstören beginnen, das wir in den vergangenen Monaten mit so viel Liebe gepflegt, für das wir auf so viel verzichtet haben. Den nächsten Winter mag ich mir gerade gar nicht ausmalen.

Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit Paul Kersten. Das war Ende der 1970er Jahre. Kersten las aus seinem Erstling „Der alltägliche Tod meines Vaters“. Ich besuchte die Lesung als junge Volontärin einer niedersächsischen Regionalzeitung. Am selben Tag hatte ich den VW Käfer des Verlags auf regennassem Kopfsteinpflaster zu Schrott gefahren und am eigenen Leib erlebt, wie schnell ein Leben am seidenen Faden hängen kann. Ich erinnere mich nicht mehr an jedes Detail, aber ich weiß noch, dass der Text mich, vielleicht auch aufgrund der Begleitumstände, damals sehr erreicht hat. Durch das Buch habe ich zum ersten Mal gefühlt, dass eine Beziehung, die zu Lebzeiten eines Menschen nicht existiert hat, nach dessen Tod nicht mehr hergestellt werden kann.

Das Foto in diesem Beitrag ist ein Archivbild. Ich habe es vor Jahren an einem besonders schönen Morgen am Strand von Usedom aufgenommen. Vielleicht sind meine Sorgen ja ganz unbegründet…

Mit Goethe im Herbstwald

Wenn in Wäldern Baum an Bäumen,
Bruder sich mit Bruder nähret,
Sei das Wandern, sei das Träumen
Unverwehrt und ungestöret;
Doch, wo einzelne Gesellen
Zierlich miteinander streben,
Sich zum schönen Ganzen stellen,
Das ist Freude, das ist Leben.

Aus: Johann Wolfgang von Goethe „Wilhelm Tischbeins Idyllen“

Eben noch Sommer

Wie eine Welle, die vom Schaum gekränzt
Aus blauer Flut sich voll Verlangen reckt
Und müd und schön im großen Meer verglänzt –

Wie eine Wolke, die im leisen Wind
Hinsegelnd aller Pilger Sehnsucht weckt
Und blass und silbern in den Tag verrinnt –

Und wie ein Lied am heißen Straßenrand
Fremdtönig klingt mit wunderlichem Reim
Und dir das Herz entführt weit über Land –

So weht mein Leben flüchtig durch die Zeit,
Ist bald vertönt und mündet doch geheim
Ins Reich der Sehnsucht und der Ewigkeit

Hermann Hesse: Wie eine Welle

Einer dieser Tage

Unter fallenden Kastanien / den Garten umarmen

Durch Zeitgeräusch wandern / von Stimme zu Stimme

Herzliche Briefe / lieben

Sich an allen Ecken / wundstoßen / und ganz bleiben

Rose Ausländer: Ganz bleiben

Die Fotos habe ich von einem Spaziergang an der verwunschenen Ostseite des Schaalsees mitgebracht. Es war einer dieser Tage dazwischen: nicht mehr ganz Sommer, noch nicht ganz Herbst und gerade eben warm genug, um am Abend den frisch geräucherten Saibling auf einer Bank direkt am See zu verspeisen.

Sommerfäden über Land

Da fliegt, als wir im Felde gehen,
Ein Sommerfaden über Land,
Ein leicht und licht Gespinst der Feen,
Und knüpft von mir zu ihr ein Band.
Ich nehm ihn für ein günstig Zeichen,
Ein Zeichen, wie die Lieb es braucht.
O Hoffnungen der Hoffnungsreichen,
Aus Duft gewebt, von Luft zerhaucht!

Ludwig Uhland: Der Sommerfaden

Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.

Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser.
Weil’s wohltut, weil’s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.

Und lass deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiss dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen, als ein Grashüpferhupf.

Joachim Ringelnatz: Sommerfrische

Und blüht der Weizen, so reift er auch,
Das ist immer so – ein alter Brauch.
Und schlägt der Hagel die Ernte nieder,
Übers andere Jahr trägt der Boden wieder.

Johann Wolfgang von Goethe: Und blüht der Weizen

So schön, dass die Mais-Monokultur der vergangenen Jahre offenbar wieder Raum lässt für ausgedehnte Getreidefelder! Gerste und Weizen vor allem, so scheint es. Was ich in diesem Sommer zum ersten Mal sah, waren Trennwände zwischen minikleinen Ährenfeldern. Keine Ahnung, wovor die schützen sollen – und ob das besser in Weiß oder Braun klappt. Über sachdienliche Hinweise freue ich mich.

Und wie die Sonne lachte…

Ich möchte still am Wege stehn
und möcht‘ es Frühling werden sehn,
ich könnt‘ noch immer wie ein Kind
bei jeder kleinen Knospe säumen!
Und klänge in den kahlen Bäumen
ein Vogeltriller… ach, ich könnt‘,
mir einen langen Sommer träumen
voll Klang und Glanz und Sonnenschein
und glücklich sein!

Cäsar Otto Hugo Flaischlen: Ich möchte still am Wege stehn

Der schwäbische Schriftsteller und Journalist Flaischlen (1864 – 1920) war Anfang des 20. Jahrhunderts ein bekannter Lyriker und Mundartdichter. Die Auflagen einiger seiner Werke erreichten weit über hunderttausend Exemplare. Heute ist er in Vergessenheit geraten. Sein Gedicht „Hab Sonne im Herzen“ nach der Melodie „Der Mai ist gekommen“ dürfte vielen allerdings noch bekannt sein.

Bei Licht betrachtet

p1170850… ist es phantastisch, zu Hause zu sein bei der Freundin, während die Freundin auf Reisen ist und das eigene Zuhause eine Baustelle.

p1170856… ist es todtraurig, wenn die, die sich sorgten und kümmerten, als du selbst noch kein Wort sprachst, nicht einmal mehr ihren eigenen Namen wissen.

p1170846… ist es Zeit für die Liebe, besonders im Frühjahr. Und für Rose Ausländer, immer wieder.

Noch bist du da

Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Auf lyrikline kannst du dir das Gedicht auch von der Autorin vorlesen lassen.

Wie Samt und Seide

p1160665Ein Wetter zum Mäusemelken hätte die Großmutter das genannt. Oder zum Heldenzeugen. Und dabei ein kleines bisschen gekichert. Über „so etwas“ sprach man schließlich nicht. Ganz bestimmt nicht vor den Kindern.

p1160637Schleierwolken zieren das blaue Himmelskleid. Noch einmal lockt die Sonne mit hochsommerlichen Temperaturen. Nebenan im Schatten, im leichten Wind, ist schon der Herbst zu spüren. Das macht die Wärme besonders kostbar.

p1160681Und die Menschen… irgendwie langsam. Beinahe kontemplativ spazieren und radeln sie durch das Moor, das an diesem Tag sogar vom allgegenwärtigen Flugverkehr verschont bleibt.

p1160649Ganz still ist es. Am Moorsee warten drei Libellen-Spotter mit dicken Ferngläsern und Teleobjektiven.

p1160646Als ich ein paar Stunden später wieder vorbei komme, sitzen und schauen sie immer noch.

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