
Stell dich mitten in den Regen,
glaube an den Tropfensegen,
spinn dich in dies Rauschen ein
und versuche, gut zu sein!
Stell dich mitten in den Wind,
glaub an ihn und sei ein Kind –
lass den Sturm in dich hinein
und versuche, gut zu sein!
Stell dich mitten in das Feuer –
liebe dieses Ungeheuer
in des Herzens rotem Wein
und versuche, gut zu sein!
Wolfgang Borchert: Versuch es
Ich erinnere mich noch gut an jenen Sommer, als ich mit C. durchs Allgäu streifte. Manchmal wanderten wir, aber noch viel öfter, so scheint es mir in der Erinnerung, hockten wir in irgendeinem Café, vertilgten Topfenstrudel und redeten. Das heißt, C. redete. Ich hörte die meiste Zeit zu. C. hatte Liebeskummer. Und der musste raus. Und wenn er nicht über die Treulosigkeit des Verflossenen wehklagte, trug C. Gedichte vor. Und wie er deklamierte! C. war mit Leib und Seele Schauspieler. Jedes Café, jeder Waldweg wurde ihm zur Bühne. So lernte ich auch das Gedicht „Versuch es“ kennen und selbst auswendig sprechen, „by heart“, wie es im Englischen so treffend heißt. Bis dahin war der Schriftsteller Wolfgang Borchert für mich quasi ein Synonym für das Antikriegsdrama „Draußen vor der Tür“ gewesen.
Heute wäre der gebürtige Hamburger Borchert (1921-1947) 100 Jahre alt geworden. Die Freie und Hansestadt feiert ihren berühmten Sohn mit einem liebevoll gestalteten Literaturfestival: „Hamburg liest Borchert“. Ein Teil der Veranstaltungen findet zurzeit pandemiebedingt online statt, ein anderer Teil hoffentlich später vor Publikum. Unter dem Motto „Draußen vor den Türen“ schmücken Zitate aus dem Drama Hauseingänge in Borcherts Heimat-Stadtteil Eppendorf. Vor Orten, die zentral für seine Biografie waren, wie hier sein Geburtshaus in der Tarpenbekstraße, wurden mobile Gärten aufgestellt.
