Heute möchte ich euch von einer Gegend erzählen, die hierzulande kaum bekannt ist – und dabei von atemberaubender Schönheit: Mit durchschnittlich nur 200 mm Niederschlag im Jahr ist das Saghro-Gebirge eine der unwirtlichsten Regionen Marokkos. Die Steinwüste erstreckt sich südlich der „Straße der 1000 Kasbahs“ zwischen dem Oasental des Draa im Westen und dem Oasengebiet von Tafilalet im Osten und geht nach Süden in die Kies- und Schotterwüsten der Sahara über.
Das 200 bis 500 Millionen Jahre alte Djebel-Saghro-Massiv fasziniert durch die Klarheit von Formen und Farben: bizarr erodierte Felsen, Steine und Kiesel in Schwarzbraunrot, die auf das Schönste mit dem kristallblauen Himmel kontrastieren. Knorrige Wacholderbäume neigen sich in Windrichtung.
Wir wollen das Massiv zu Fuß durchqueren: über mehrere Zweitausender, vorbei an markanten Felstürmen, durch wilde Schluchten. Ausgangspunkt der viertägigen Trekkingtour ist die Oase Tagdilt am Nordrand des Djebel Saghro. Als wir dort eintreffen, ist unser Begleitteam bereits da: Berber vom Volk der Atta. Die Mulis, die Gepäck und Ausrüstung, Wasser- und Lebensmittelvorräte tragen werden, grasen friedlich im weicher werdenden Licht des späten Nachmittags.
In den tief eingeschnittenen Tälern des Saghro-Gebirges betreiben die Ait Atta bescheidene Landwirtschaft. Auf ihren Feldern gedeihen Weizen, Gerste, Henna, Mandel- und Walnussbäume. Die traditionelle Lebensgrundlage des Nomadenvolks aber ist die Wechselweidewirtschaft. Im Winter weiden sie ihre Ziegen und Schafe in der Sahara südlich der Berge. Im Frühjahr treiben sie die Tiere auf die Hänge des Djebel Saghro. Sind auch die abgeweidet, ziehen sie weiter in den Hohen Atlas, der nach der Schneeschmelze neue Weidegründe bietet.
Die Ait Atta, die sich auf einen gemeinsamen Ahnen Dadda Atta berufen, haben eine lange Geschichte in den Bergregionen des südlichen Marokko. Als die Araber mit der Ausbreitung des Islam ins Land kamen, waren sie und andere Berberstämme längst da. Im 16. Jahrhundert wurden sie zu einer starken politischen Kraft in der Djebel-Saghro-Region. Sie stritten für ihre Unabhängigkeit und widerstanden auch den Franzosen, unter deren Protektorat fast ganz Marokko damals schon seit Jahren stand, bis 1933.
Die Mulis sind beladen, unsere Wanderung kann beginnen. Von der Oase Tagdilt in 1.600 m Höhe folgen wir nach zuerst mäßigem Anstieg einem Serpentinen-Weg hinauf zum Tizi-n-Tazoughat (2.200 m, Tizi = Pass). Die Mittagspause verbringen wir mit Blick auf die Gipfel des Hohen Atlas, die sich wie ein Band entlang dem Dades-Fluss ziehen. Unser Koch, der aus dem Hohen Atlas stammt, zaubert eine herrliche Salatplatte, die wir auf den blauen Schaumgummimatten verspeisen, die uns in den nächsten Tagen als Sitzgelegenheit, als Schlafunterlage und später in der Wüste auch als Reitsattel dienen werden.
Bergan wandern wir nach der Pause zum nächsten Pass, dem Tizi-n-Iferd (2.500 m). Bald wird die Sicht frei auf den höchsten Berg im Saghro-Massiv, den Amalou n’Mansour (2.712 m). Aber für uns geht es jetzt bergab zu unserem ersten Lagerplatz in 2.200 m Höhe nahe einer kleinen Quelle. Das freundliche Begleitteam ist bereits dabei, die Zelte aufzubauen, in denen wir uns in der folgenden Nacht der mit der Hanglage verbundenen Schwerkraft entgegenstemmen werden.
Unser erstes Ziel am nächsten Tag ist der Aussichtsberg Kouaouch (2.592 m), den wir über ein Plateau erreichen. Der Gipfel bietet eine grandiose Rundumsicht ins Saghro-Gebirge und auf den Hohen Atlas.
Zwischen gewaltigen Tafelbergen wandern wir später, als führe der Weg zwischen lauter Festungen und Burgen hindurch.
Senkrechte Felswände wirken wie unbezwingbare Mauern, Felspfeiler wie die Zinnen einer Burganlage.
Das Gestein leuchtet mal in Gelb, Orange und Rot, dann in allen Schattierungen von Ocker bis Braun.
Am Ende eines langen Tages treffen wir in der Oase Igli (1.700 m) ein und finden die Zelte abermals bereits aufgebaut vor. Welch ein Luxus nach dem strammen Abstieg, der meine Knie ordentlich gefordert hat!
Die Oase Igli ist von Nomaden besiedelt, die in dem kargen Weideland von der Schaf- und Viehzucht leben. Alle paar Wochen werden die Zelte verlegt, damit die Tiere genügend Nahrung haben. Apropos Nahrung: Unser Koch zaubert wieder einmal ein köstliches Mal, das wir auf den Matten im Gemeinschaftszelt einnehmen: Gemüsesuppe, Tajine, Obst zum Nachtisch und dazu ein starker süßer Tee. Schon bald ist die nötige Schlafsack-Schwere erreicht.
Von Igli wandern wir anderntags hinunter in ein Tal, das sich zur wilden Afourar-Schlucht verengt. Unterwegs kommen wir durch kleine Berber-Siedlungen, in denen ähnlich wie in der Igli-Oase bescheidener Ackerbau betrieben wird. Der Afourar führt Wasser; ein paar Mal sehen wir Frauen, die im Fluss ihre Wäsche waschen.
In der engen Schlucht müssen wir immer mal wieder das Flussbett queren.
Die Formationen des Gesteins lassen uns Mal um Mal staunen. Ebenso wie die Farben um uns herum: Grün wie Kupfer, Rot wie Eisen, Gelb wie Schwefel.
Schließlich weitet sich die Landschaft, der Blick schweift über von Orgelpfeifen aus Sandstein gesäumte Höhenzüge. Wir nähern uns unserem Lagerplatz beim Bab’n’Ali, dem „Tor von Ali“ (1.380 m) – zwei markanten, nebeneinander stehenden Felstürmen inmitten der imposanten Bergkulisse nördlich von Nekob. Der Nachmittag steht zur freien Verfügung. Peter will zurück zum „Pool“ in der Afourar-Schlucht, Dieter, Gunnar und ich nehmen den Gipfel in unserem Rücken in Angriff – noch einmal 500 Höhenmeter sind es bis dort –, der Rest der Gruppe beschließt, im und um das Lager herum zu faulenzen.
Ich lasse es nach 300 gerölligen Metern hinauf gut sein und genieße von dort die spektakuläre Aussicht auf das klein gewordene „Tor von Ali“ im sanften Nachmittagslicht.
Von meinem Ausguck kann ich fast den kompletten Weg der vergangenen drei Tage überblicken. So weit sind wir gelaufen! Und so schön und abwechslungsreich ist die Landschaft!
Noch lange ist einer der mächtigen Türme von Alis Tor zu sehen, als wir am nächsten Tag zu unserer letzten Etappe im Saghro-Gebirge aufbrechen.
Durch weite Landschaften wandern wir in ständigem Auf und Ab bis zur Oase Ighazoune (1.300 m). Am Ende wird der Weg öde und heiß und wir freuen uns, dass wir die letzten Kilometer mit Jeeps zu unserem Nachtquartier, einem netten Berberhaus in Tifrite, gefahren werden.
Am Abend heißt es Abschied nehmen von unseren Begleitern von den Ait Atta. Saha! Viel mehr haben wir in der Berber-Sprache Tamazight nicht sprechen gelernt: Danke!