Geschenkte Räume

Der Förster kam mir mit seinem Hund entgegen, dann eine Weile niemand mehr. Kaum ist das Wetter mal ein bisschen unbeständig, feixte ich innerlich, schon hat man ganze Wälder für sich. Wobei „kaum“ und „ein bisschen“ natürlich arge Euphemismen sind. So oft wie in diesem sogenannten Winter bin ich lange nicht mehr nass bis auf die Haut in die warme Stube zurückgekehrt. Man kann (respektive will) schließlich nicht zu jeder Verabredung in hochgebirgstauglicher Allwettermontur erscheinen. Aber welch ein Vergnügen ist es, wenn es denn passt, Schicht um Schicht anzulegen, Rucksack und Mütze aufzusetzen, die Kapuze tief in die Stirn zu ziehen – und in aller Seelenruhe zu einem ausgedehnten Spaziergang aufzubrechen. Mag es nur schauern, mag es stürmen!

Mich zog es wieder einmal ins Professormoor, von dem ich hier und da bereits erzählt habe. Ich liebe dieses Fleckchen Erde im äußersten Norden Hamburgs, und ich war schon x Mal dort. So wie an diesem Wochenende aber hatte ich das Feuchtbiotop im Duvenstedter Brook noch nie gesehen. So viel Wasser!

Wo nach den Dürresommern 2018 und 2019 kaum mehr als Pfützen zwischen den Grassoden auszumachen waren, ist eine veritable Seenlandschaft entstanden. An einigen Stellen reicht die ungewohnte Flut sogar bis an den Grenzwall zum Nachbarn Schleswig-Holstein. Der grasbewachsene schmale Damm erlaubt es Spaziergängern, das Moor mehr oder – wie jetzt gerade – etwas weniger trockenen Fußes zu queren.

Auf Hamburger Seite sah ich in einiger Entfernung zwei Männer mit Eimern und Spaten hantieren. NABU-Ehrenamtliche, wie sich herausstellte, als einer von ihnen sich bis auf Rufweite näherte. Überwadenhoch tauchten die Gummistiefel des Mannes bei jedem Schritt ins Wasser. Schritt. Stand. Nächster Schritt. Stand. Da weiß einer sehr genau, wohin er seine Füße setzt. Seit zwanzig Jahren schon hilft er zusammen mit anderen Freiwilligen, die teilweise noch viel länger dabei sind, dem Moor beim (Über-)Leben. Gerade dichten sie allerlei Rinnen und Gräben ab, damit nur ja nichts von dem kostbaren Nass abfließt. Die nächste Trockenperiode kommt bestimmt, auch wenn man sich das zurzeit kaum vorstellen kann.

Nach einem kurzen Schwätzchen ging ich meiner Wege, die für die nächsten Kilometer wirklich meine waren. Und während ich gleich-mäßig ausschritt und das leichte Nieseln in ergiebigeres Strömen überging, stellte sich dieses Gefühl ein, wie ich es auch aus wachen Stunden spät in der Nacht kenne, wenn alles um mich herum längst schläft: Geschenkte Zeit, geschenkte Räume.

Nachschlag in Farbe

Vor ein paar Tagen habe ich Fotos von meinem jüngsten Ausflug ins Professormoor gezeigt, die ich nachträglich der Farbe beraubt hatte, weil die Schwarz-weiß-Perspektive dem tatsächlich Gesehenen bzw. Empfundenen stärker entsprach. Zwei Motive sparte ich aus, weil mir die Farbvariante hier „wahrhaftiger“ zu sein scheint. Ich bitte, das große Wort zu entschuldigen, du weißt vielleicht, was ich meine…

Die zarten Birken entfalten ihren vollen Zauber aus meiner Sicht erst beim Blick in den blauen Milchglasspiegel. Und der geborstene Ast im Himmelsblau ist der lustige Geselle, dem ich auf meinem Spaziergang begegnete, und kein Stämme fressendes Monster wie in Schwarz-Weiß.

Und was meinst du?

 

Lichtspiele im Moor

An manchen Tagen, an manchen Orten sehe ich bunt. An anderen eher schwarz-weiß. Dann fokussiert mein Auge ganz von allein auf Linien und Strukturen. So wie vergangenen Sonntag im Professormoor, einem meiner Lieblingsorte hier im Norden.

Wenn du mehr über diesen Flecken Erde wissen möchtest oder wie es dort (in einer anderen Jahreszeit) in Farbe aussieht, wirst du zum Beispiel hier fündig.

Zwischen Brut und Brunft

P1040657Stadtmauern gibt es in Hamburg schon lange nicht mehr, und der alte Grenzwall entlang der heutigen Landesgrenze zu Schleswig-Holstein führt als von Birken und Erlen gesäumter Trampelpfad quer durch den Duvenstedter Brook. Was da genau abgegrenzt wurde, habe ich bisher nicht herausfinden können. Das bis 1864 dänische Herzogtum Holstein? Wohl kaum. Hamburg kaufte erst 1925 große Teile des Brooks, der damals noch im Kreis Stormarn lag. Der Rest gelangte mit dem Groß-Hamburg-Gesetz 1937 an die Hansestadt. Wer weiß, womöglich diente der Grenzwall lediglich dazu, die Besitztümer zweier Dörfer zu markieren, und Kühe trotteten darauf von einer Wiese zur nächsten. Mehrere hundert Jahre lang war der Brook von den Bauern der Dörfer Duvenstedt und Lemsahl-Mellingstedt als Viehweide und zum Torfstich genutzt worden.

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P1040591Ab März ist der idyllische Wall für Spaziergänger gesperrt, weil drumherum Kraniche und Graureiher brüten. In diesen Wochen gehört er den Hirschen: In der Dämmerung und während der Nacht zerreißt das Röhren der Rot-, ab Oktober auch der Damhirsche jäh die Stille über den angrenzenden Wiesen, auf denen friedlich die Hirschkühe äsen, und Geweihstangen krachen gegen Geweihstangen. Ein Spektakel, das jedes Jahr unzählige Besucher zu den Beobachtungsständen des NABU lockt. Das Rotwild stammt übrigens von Tieren aus den Karpaten ab, die der Nazi-Gauleiter Karl Kaufmann Ende der 1930er Jahre einführen ließ, um sie nach Art der früheren Feudalherren mit seinen Gästen abzuschießen.

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P1040724Vor ein paar Tagen, quasi zwischen Brut und Brunft, habe ich eine Verabredung in der Gegend zu einem kleinen Abstecher genutzt. Von gelegentlichem Flugverkehr abgesehen, lag tiefer Friede über diesem Grenzgebiet zwischen Wald und Moor. Der vielleicht schönste Pfad durch den an reizvollen Wegen bestimmt nicht armen Duvenstedter Brook führt am Hexenstein vorbei, einem angeblichen ehemaligen Hinrichtungsplatz, und endet am Professormoor, das allerdings nicht nach einem Universitätsgelehrten, sondern nach einem „Profos“ benannt ist, der dort seinen Torf gestochen haben soll, einem für die Strafvollstreckung zuständigen Militärbeamten. Schönheit und Schrecken liegen gelegentlich nah beieinander.

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