Was einem so fremd ist

Also, die Geschichte kam mir doch ziemlich spanisch vor. Das hätte ich A., der sie mir erzählt hatte, auch gern gesagt. Die Sache hatte nur einen klitzekleinen Haken: A. war Spanier. Kaum anzunehmen, dass er mich verstanden hätte. Für einen Spanier ist alles Spanische ja alles andere als spanisch und das, was ihm seltsam erscheint – chinesisch. So wie für einen Briten griechisch. Das war schon zu Shakespeares Zeiten so („…those that understood him smiled at one another and shook their heads; but for mine own part, it was Greek to me” lässt der Dichter in der Tragödie des Julius Caesar einen der Verschwörer sagen), und das gilt bis heute. Ich versuche gerade mir vorzustellen, was wohl der englische Finanzminister nach einem Treffen mit seinem griechischen Amtskollegen so sagt respektive denkt…

Aber zurück zu dem, was uns Deutschen fremd ist bzw. war. Ganz sicher ist die Herkunft der Redewendung „Das kommt mir spanisch vor“ zwar nicht, aber es gibt, wie ich bei meinen Recherchen zwischen Wikipedia und dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm feststellte, so etwas wie eine herrschende Meinung. Danach stammt der Ausdruck wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert, als Kaiser Karl V., der seit 1516 spanischer König war, wenige Jahre später erst zum römisch-deutschen König, dann zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt wurde. Der neue Kaiser führte eine Reihe ungewöhnlicher Sitten an seinem Hof ein, unter anderem erklärte er Spanisch zur neuen Verkehrssprache. Kein Wunder, wenn das den Untertanen „spanisch“ vorkam.

Ebenfalls dem Hause Habsburg (allerdings wohl erst nach der Trennung in eine österreichische und eine spanische Linie) verdankt der deutsche Redensarten-Schatz übrigens die in der Bedeutung verwandte Wendung „Das sind böhmische Dörfer für mich“: Während im Kernland des zur Habsburgermonarchie gehörenden Königreichs Böhmen Tschechisch („Böhmisch“) gesprochen wurde, sprach man in den Randgebieten Deutsch. Wer von dort beispielsweise nach Prag reiste, passierte allerlei „böhmische Dörfer“ und andere Fremdartigkeiten. Eines von Christian Morgensterns „Galgenliedern“ erzählt davon:

Palmström reist, mit einem Herrn v. Korf,
in ein sogenanntes Böhmisches Dorf.
Unverständlich bleibt ihm alles dort,
von dem ersten bis zum letzten Wort.
Auch v. Korf (der nur des Reimes wegen
ihn begleitet) ist um Rat verlegen.
Doch just dieses macht ihn blass vor Glück.
Tiefentzückt kehrt unser Freund zurück.
Und er schreibt in seine Wochenchronik:
Wieder ein Erlebnis, voll von Honig!

Der Versuch, A. all dies in (zurückhaltend formuliert) eingerostetem Spanisch zu vermitteln, war herausfordernd, aber der Völkerverständigung durchaus förderlich. Und die Geschichte, die mir so spanisch vorkam? Tut hier weiter nichts zur Sache…

Thronfolger auf Weltreise

Franz Ferdinand.PNG.880266Franz Ferdinand von Österreich-Este: „Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck“. Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892-1893. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Frank Gerbert. Wien 2013

Mit großer Entourage reiste der designierte Monarch von Österreich-Ungarn zehn Monate lang quer durch Asien, Australien und allerlei pazifische Inseln bis nach Nordamerika. 1100 Seiten umfasste sein 1895 erstmals veröffentlichtes Tagebuch, das seinen Machtanspruch und seine zukünftige Rolle in Europa unterstreichen sollte. Daraus wurde am Ende bekanntlich nichts: Erzherzog Franz Ferdinand fiel im Juni 1914 bei einem Besuch in Sarajevo einem Attentat serbischer Nationalisten zum Opfer, das im Weiteren den Ersten Weltkrieg auslöste. Ein faszinierendes Zeitzeugnis ist dieses Tagebuch einer Weltreise im ausgehenden 19. Jahrhundert aber allemal. Der Journalist Frank Gerbert hat es auf ein lesefreundliches Viertel seines ursprünglichen Umfangs gekürzt und mit einer Einleitung sowie kommentierenden Erläuterungen versehen, Text und Rechtschreibung im Übrigen aber unverändert gelassen.  Originalfotografien ergänzen die Reisenotizen.

Dass einem beim Blick in Gründe und Abgründe dieser schillernden Person der Zeitgeschichte immer wieder das Messer in der Tasche aufgehen kann, sei ausdrücklich erwähnt. Der Thronfolger schießt auch unterwegs auf alles, was ihm vor die Flinte kommt, selbst auf Koalas und fliegende Fische. Unfassbare 274.899 Stück Wild soll der fanatische Jäger im Laufe seines gerade einmal 50-jährigen Lebens erlegt haben. Er ist ebenso konservativ wie katholisch, echauffiert sich über angeblich pietätlose Bestattungsrituale in Indien, schreckt aber nicht davor zurück, in Australien eigenhändig das Grab eines Häuptlings zu schänden. Auf der anderen Seite scheint ihm durchaus bewusst zu sein, welche Gräuel den Ureinwohnern von weißen Eroberern angetan wurden. Über landschaftliche Schönheiten schreibt er mit den Augen eines Romantikers, bisweilen geradezu poetisch. Sein Blick auf fremde Völker im Allgemeinen und exotische Frauen im Besonderen ist demgegenüber zumeist eurozentristisch-abfällig bis eindeutig rassistisch, was durchaus dem Zeitgeist entsprach. Über Österreich und seine Küche geht ohnehin nichts. Aber der Habsburger ist nicht nur scharfzüngig, sondern auch ein genauer Beobachter und formuliert erstaunlich bildhaft. Einige seiner Schilderungen sind sogar komisch, allerdings wohl eher unbeabsichtigt.

„Zum Glück ist das Reisetagebuch mehr als bloß ein Dokument von Rassismus und jägerischem Größenwahn“, schreibt Herausgeber Gerbert zutreffend. „Entstanden ist eine sehr sonderbare Mixtur aus Ignoranz, Vorurteil, Ideologie, originellen An- und Einsichten, respektablen Landschaftsbeschreibungen, Plädoyers für den Naturschutz sowie einem Quäntchen Selbstironie. Dass seine Aufzeichnungen so lebendig sind, liegt vielleicht auch daran, dass der Erzherzog – wiewohl intelligent – nicht besonders gebildet war und sich vor allem als Mann der Tat begriff. Statt viel zu räsonieren, stürzt er sich ins volle Leben, verkostet die ungewöhnlichsten chinesischen Speisen, probiert Opium, lässt sich tätowieren und liefert sich ein Wettschießen mit dem besten indischen Schützen.“