Zwischen Brut und Brunft

P1040657Stadtmauern gibt es in Hamburg schon lange nicht mehr, und der alte Grenzwall entlang der heutigen Landesgrenze zu Schleswig-Holstein führt als von Birken und Erlen gesäumter Trampelpfad quer durch den Duvenstedter Brook. Was da genau abgegrenzt wurde, habe ich bisher nicht herausfinden können. Das bis 1864 dänische Herzogtum Holstein? Wohl kaum. Hamburg kaufte erst 1925 große Teile des Brooks, der damals noch im Kreis Stormarn lag. Der Rest gelangte mit dem Groß-Hamburg-Gesetz 1937 an die Hansestadt. Wer weiß, womöglich diente der Grenzwall lediglich dazu, die Besitztümer zweier Dörfer zu markieren, und Kühe trotteten darauf von einer Wiese zur nächsten. Mehrere hundert Jahre lang war der Brook von den Bauern der Dörfer Duvenstedt und Lemsahl-Mellingstedt als Viehweide und zum Torfstich genutzt worden.

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P1040591Ab März ist der idyllische Wall für Spaziergänger gesperrt, weil drumherum Kraniche und Graureiher brüten. In diesen Wochen gehört er den Hirschen: In der Dämmerung und während der Nacht zerreißt das Röhren der Rot-, ab Oktober auch der Damhirsche jäh die Stille über den angrenzenden Wiesen, auf denen friedlich die Hirschkühe äsen, und Geweihstangen krachen gegen Geweihstangen. Ein Spektakel, das jedes Jahr unzählige Besucher zu den Beobachtungsständen des NABU lockt. Das Rotwild stammt übrigens von Tieren aus den Karpaten ab, die der Nazi-Gauleiter Karl Kaufmann Ende der 1930er Jahre einführen ließ, um sie nach Art der früheren Feudalherren mit seinen Gästen abzuschießen.

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P1040724Vor ein paar Tagen, quasi zwischen Brut und Brunft, habe ich eine Verabredung in der Gegend zu einem kleinen Abstecher genutzt. Von gelegentlichem Flugverkehr abgesehen, lag tiefer Friede über diesem Grenzgebiet zwischen Wald und Moor. Der vielleicht schönste Pfad durch den an reizvollen Wegen bestimmt nicht armen Duvenstedter Brook führt am Hexenstein vorbei, einem angeblichen ehemaligen Hinrichtungsplatz, und endet am Professormoor, das allerdings nicht nach einem Universitätsgelehrten, sondern nach einem „Profos“ benannt ist, der dort seinen Torf gestochen haben soll, einem für die Strafvollstreckung zuständigen Militärbeamten. Schönheit und Schrecken liegen gelegentlich nah beieinander.

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26 Kommentare zu “Zwischen Brut und Brunft

  1. Wow! Das finde ich ja interessant – vielen Dank für diesen wirlich tollen Bericht, den ich mir schon fürs Verlinken vorgemerkt habe, sollte ich „dort oben“ noch eine weitere Brücke finden, die ich veröffentlichen kann. So muss ich dann nicht über den Brook recherchieren, sondern kann auf diesen Artikel verweisen. Großartig.
    LG und schönen Tag wünscht Sabine

    • Freut mich sehr, dass dir der Beitrag gefallen hat, Sabine! Ich bin schon neugierig auf die Brücken, die du in der Gegend aufspürst. Vielleicht über die Ammersbek? Die nähere Umgebung des Grenzwalls scheint mir eher Graben-Sprung-Gebiet zu sein. 🙂 Sonnige Grüße!

  2. Schönheit und Schrecken…liebe Maren, wieder einmal eine sehr schöne und informative Beschreibung eines sehenswerten Fleckens Erde…das weckt die Neugierde und den Wunsch, da auch mal rumzustreifen. Tolle Fotos!

    • Ja, da lässt es sich herrlich herumstreifen, Birgit, ganz besonders an klaren kalten Wintertagen, wenn der Raureif unter den Füßen knirscht und der Blick weit über die Wiesen schweift…

      • Hmm – also hast Du die Landschaft und wir hier unten bereits das Wetter dazu 🙂 Ich sitze heute mit Weste und Halstuch im Büro bei eisig kaltem Wind.

      • Ach, wie ungerecht! Ich war gerade unter der Dusche, nach einer mittäglichen Besprechung im prallen Sonnenschein. Von dem ich dir hiermit eine ordentliche Portion schicke. Zumindest das Halstuch sollte bald überflüssig sein.

  3. Und wieder gefallen mir die Bilder so gut.
    Spontan der Wunsch jetzt&sofort mit meinem Fahrrad unter dem schweren Himmel eine Rundfahrt im Dubenstedter Brook zu unternehmen.
    Wir könnten uns anschliessend im Museum Altona treffen, dort sollte sich einiges finden lassen zu den Grenzverläufen um Hamburg vor dem 1866er deutsch-deutschen Krieg.

    Morgensonnigfrischluftige Grüsse vom Schwarzen Berg

    • Den schweren Himmel können wir hier im Norden gerade nicht bieten, aber wenn es auch ein spätsommerlich pralles Flirren und Leuchten durch Blätter und Zweige sein darf…? Und das Altonaer Museum scheint mir eine sehr gute Idee zu sein, um der Kulturgeschichte in diesem Teil Hamburgs und Schleswig-Holsteins nachzuspüren. 🙂

      • .. eben dort lernte ich bei einem Besuch welche der beiden Städte wirklich bedeutsam gewesen ist vor Zeiten… Ach, wohin ist all die Pracht – und Eingemeindungen sind keine guten Lösungen…

  4. Manchmal liegen Schönheit und Schrecken nah beieinander, ja genau … ähnliches dachte ich schon, als ich von dem eingeführtem Rotwild las, wie gut, dass sie es nicht geschafft haben alle abzuknallen …
    ein sehr feiner und informativer Artikel mit wunderbaren Fotos, mir gefällt ganz besonders das dritte-

    herzlichst Ulli

      • Fotografinnen nicht näher bezeichneten Alters sehen es älter werdenden Herren gerne nach, wenn sie für eine Nachlese noch einmal vorbeischauen und freuen sich über Pauschallob ebenso wie über detaillierte Anerkennung: Danke! 😉

    • Liebe Ulli, ich danke dir für deinen feinen Kommentar! Irgendwie hat es mich nicht überrascht zu lesen, dass dir das dritte Bild besonders gefällt. Vielleicht weil ich beim Stöbern auf deinem Blog auch gerade so viel weich changierendes Grün sah? Auch dir einen herzlichen Gruß!

      • ich a^habe mich gestern sehr über deinen Besuch gefreut- danke
        grün und blau und blau und grün, die haben es mir wirklich angetan, darin kann ich täglich baden 😉
        hab einen feinen Abend
        herzlichst Ulli

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