Es war einmal eine Prinzessin, die streifte für ihr Leben gern durch die Natur. So gelangte sie eines Tages an einen tiefblauen See, in dem sich eine hohe rötliche Wand spiegelte. Begeistert kraxelte die Prinzessin den Felsensteig hinauf, bis sie vor einer Hütte stand. Dort reichte man ihr ein erfrischendes Getränk aus Ribisel und Thymian und erzählte von dem Bach, der aus dem See entspringt, sich seinen Weg durch die Steine bahnt, schon bald auf einen anderen Bach trifft, der von einer anderen Höhe herabfließt, und zu einem großen wilden Strom wird. Die Prinzessin lauschte gebannt und beschloss: Diesem Wasser wollte sie folgen…
Manchmal wanderte die Prinzessin ganz dicht am Ufer.
Manchmal wand sich der Fluss wie ein Band zu ihren Füßen.
Von allen Seiten strömte es, strömte dem Fluss zu, der rasch größer und breiter wurde.
Manchmal verlor die Prinzessin den Fluss aus den Augen, so hoch hinauf führte ihr Weg.
Manchmal ruhte sie sich ein Weilchen aus.
Manchmal fürchtete sie sich sogar ein bisschen. Hu, so eine kleine Brücke so hoch über dem Fluss! Und in dem Häuschen auf der anderen Seite, ob darin womöglich ein verwunschener Drache hauste?
Endlich kam die Prinzessin zu einem Dorf, das ihr sogleich gefiel. In dem Dorf gab es ein kleines Schloss, aber eines ohne Könige. In diesem Schloss übernachteten lauter Prinzessinnen und Prinzen, die wie unsere Prinzessin für ihr Leben gern irgendwo durch die Natur streiften.
Das Sonderbarste war, dass es in dem Dorf noch viele andere Gebäude gab, die irgendwie alle wie Schlösser aussahen, nur dass die Säulen, Portale und Erker gar nicht echt sondern aufgemalt waren. Besonders gut gefiel der Prinzessin ein rosafarbenes Haus, vor dem gerade ein paar Männer ins Gespräch vertieft waren. Die Männer waren echt, wie sie feststellte.
Wie sie so durch die Straßen ging, erfuhr die Prinzessin, dass in den alten Zeiten, als der Boden karg war, viele Bauernsöhne gezwungen gewesen waren, das Dorf zu verlassen und in der Fremde ihr Glück zu suchen. Einige fanden es dort wohl auch und kehrten später mit großen Reichtümern in die Heimat zurück. Sie ließen prachtvolle Häuser errichten und mit Fresken und fremden Stilelementen bemalen, um ihren Wohlstand zu zeigen.
Manchen der Gebäude war der Wohlstand immer noch anzusehen, anderen eher nicht. Und gelegentlich war die eine Seite gut erhalten – und die andere nicht so.
Die Prinzessin kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
In einem besonders schön bemalten Haus wohnte überhaupt niemand, obwohl davor Stühle und kleine Tische standen. Das war das Pfarrhaus, erzählte man der Prinzessin. Leider gab es in dem Dorf gerade keinen Pfarrer.
Und es gab auch keine Finanzer mehr. Die waren früher in den Bergen um das Dorf herum patrouilliert, um Schmuggler abzufangen. Mit leuchtenden Augen stand die Prinzessin vor dem verwaisten Finanzerhäuschen: Auf alten Schmugglerpfaden über die Berge ins Nachbarland wandern, das könnte ihr auch gefallen! Aber zuerst einmal wollte sie weiter dem Strom folgen…
😀 schöne Bilder und erfrischender Text, liebe Prinzessin.
Danke schön! 🙂
Und was für ein schönes Märchen – ich habe natürlich in Gedanken gleich weitergeschrieben: Wie die Prinzessin bei ihren Streifzügen auf einen verlorenen Seelsorger trifft, diesen kurzerhand unter ihre Fittiche nimmt, in das schöne Haus bringt, und wenn sie nicht weiterwandern, dann sitzen alle vor der rosa Wand und philosophieren über das Leben 🙂
Wunderbare Bilder wieder, liebe Maren!
Oh, das gefällt mir ausgezeichnet, liebe Birgit – das Weiterwandern ebenso wie das Sitzen und Philosophieren!
Vielleicht setz ich mich dann auch ein Weilchen dazu 🙂
Wunderbar!
Liebe Maren,
da hast du aber ein schönes – auch noch eindrucksvoll bebildertes – Märchen geschrieben. Das ist ein ganz toller Auftakt zu einem korrekturreichen Feiertag, jetzt aber mit einem leichten Schmunzeln.
Viele Grüße, Claudia
Du Fleißbiene! Freut mich sehr, dass du den Tag mit einem Schmunzeln beginnen konntest. Frohes Abarbeiten der Korrekturberge wünsche ich – und dann einen schönen Feierabend!
Schön, liebe Naturprinzessin, wie du Bilder mit Worten verwebst. : )
Dieses Mal waren zuerst die Bilder da, Marion. Die Sätze schrieben sich dann eigentlich von selbst. Bei dir ist es ja umgekehrt: zuerst der (Finde-)Satz und dann das Bild. In welcher Reihenfolge auch immer: Ich finde es sehr befriedigend, an Bild-Wort-Teppichen zu weben.
als freie wandernde Prinzessin, so ohne Kutsche und Bedienstete, ohne Etikette und strenge Königsväter – ja, da mag man wohl als Prinzessin leben
Liebe Gerda, die Prinzessin verriet mir soeben, dass sie sich ihrer Privilegien wohl bewusst ist. 😉
keine Sänfte, die die Prinzessin über die Höhen trägt, dafür feste Schuhe und einen geraden Rücken wandert sie, immer dem Fluss nach und findet wunderschöne Schlösser, eins feiner bemalt, als das andere, nur seltsam, wo all die anderen hin sind, der Pfarrer und der Finazier und überhaupt … na, es werden andere kommen, vielleicht.
Liebe Grüsse an die Prinzessin von der Windsbraut
Ulli
Ja, das fragt man sich, wo die alle hin sind, liebe Ulli. Die Zöllner sind irgendwann arbeitslos geworden, so viel ist klar. Und andere hat es vielleicht ebenfalls in den Wanderschuhen gejuckt oder der Heimatboden erschien ihnen auch heute noch karg. Wer weiß… Prinzessin grüßt Windsbraut!
Prinzessinen in Bergschuhen sind besonders sympathisch allerdings auch etwas ungewöhnlich und selten ….
Seit uralten Zeiten von Erzählern und Dichtern in zartestes Schuhwerk gepresst, erobert sich die moderne Prinzessin fußkräftig neue Spielräume… 😉
Das ist gut ! 🙂
Wie märchenhaft schön! Meist kann mich nach einer längeren Wanderung in der Natur kein Ort wirklich begeistern, aber hier fühlt man sich fast, als wäre man durch den Spiegel in eine Märchenwelt eingetreten. Liebe Grüße, Peggy
Ein schönes Bild hast du da gefunden, liebe Peggy. Ja, dieses Holzgau in Tirol ist tatsächlich wie eine Märchenwelt. Großartig in Besichtigungslaune bin ich auch nicht, wenn ich länger wandere oder mit dem Fahrrad unterwegs bin. Aber den meisten Kirchen und auch den Friedhöfen entlang des Lechwegs habe ich dann doch einen Besuch abgestattet. Sie erzählen viel über die Menschen, die dort leben, finde ich.
Oh ja, über Schmugglerpfade ins Nachbarland wandern … (Aber nur wenn sie nicht gar zu steil sind.)
🙂
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