Lichträume

Wer James Turrells Ganzfeld „Aural“ im Jüdischen Museum Berlin betritt, erfährt am eigenen Leib, welche Kraft von weichem Licht ausgehen kann. Kaum noch als Raum auszumachen ist die Installation des amerikanischen Lichtkünstlers in einem temporären Bau im Garten des Museums. Am ehesten erinnert sie an eine Landschaft im Nebel oder im Schnee. Vielleicht auch an eine Traumsequenz. Linien verschwimmen. Das Auge muss ohne den gewohnten Halt auskommen. Der Boden unter den Füßen beginnt zu schwanken. Einzelne Besucher stehen schwarzschattig im scheinbar zweidimensionalen Feld. Dass sie stehen, dass ich stehe, weiß ich mehr als dass ich es sehe. Was ich sehe, ist: Weiß, Magenta, Blau, Rot… Mal mit offenen, mal mit geschlossenen Augen. Ein Bild von dem Kunstwerk kann ich hier leider nicht zeigen, der Fotoapparat musste in der Tasche bleiben. Wer sich selbst ein Bild machen will, hat dazu noch bis zum 6. Oktober Gelegenheit. Oder wirft einen Blick auf die Website des Museums.

Mitgebracht habe ich stattdessen Fotos aus dem Keller des Zick-Zack-Anbaus von Daniel Libeskind mit seinen Achsen, schiefen Wänden und rauhen Betonschächten, zwischen denen deutsch-jüdische Geschichte erzählt wird.

In zweien der Voids, der vertikalen Leerräume, die das Gebäude an Kreuzungs- und Endpunkten der Achsen bis hinauf zum Dach durchziehen, ist noch bis zum 1. September die Licht- und Klanginstallation res-o-nant des Konzeptkünstlers Mischa Kuball zu sehen und zu hören.

Rotierende Projektoren werfen Lichtfelder an Wände und Decken, während aus Lautsprechern minutenkurze Soundclips erklingen, die von mehr als 150 MusikerInnen eigens für die Installation produziert wurden.

Nur ein Hauch Tageslicht dringt durch einen schmalen Schlitz in den Betonschacht Voided Void am Ende der Achse des Holocaust. Hier, im Holocaust Turm, ist die vom Architekten Libeskind symbolisierte Leere, die durch die Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens in der Schoa entstanden ist, physisch wohl am stärksten zu spüren.

Lange halte ich so viel Leere und so wenig Licht nicht aus. An diesem sonnigen Tag ist es fast schon eine Erholung, für eine kleine Weile nach draußen in den Garten des Exils am Ende der gleichnamigen Achse zu treten.

Schwindelig werden kann einem allerdings auch hier, zwischen den 49 Stelen, die auf einer schiefen Ebene zu einem ziemlich engen Quadrat angeordnet sind.

Oder doch spätestens beim Blick in die Höhe, wo in viel Berliner und ein wenig Jerusalemer Erde Ölweiden wachsen. Unerreichbar und doch: ein Symbol der Hoffnung.

Die Achse der Kontinuität schließlich führt mich zum Memory Void  und der tief berührenden Installation Schalechet (Gefallenes Laub) von Menashe Kadishman. Tausende Gesichter mit aufgerissenen Mündern aus schweren runden Eisenplatten bedecken den Boden des ansonsten leeren Raums. Ob es wohl der Name des Kunstwerks ist, der so viele Besucher dazu verleitet, auf ihm herumzulaufen? Dabei raschelt dieses „Laub“ doch gar nicht sondern knackt, als brächen Knochen.

Zeit, in den Museumsgarten zurückzukehren, in andere Lichträume.