„Lassen Sie mich ein Gleichnis gebrauchen, das Gleichnis vom Baum. Der Künstler hat sich mit dieser vielgestaltigen Welt befaßt, und er hat sich, so wollen wir annehmen, in ihr einigermaßen zurechtgefunden; in aller Stille. Er ist so gut orientiert, daß er die Flucht der Erscheinungen und der Erfahrungen zu ordnen vermag. Die Orientierung in den Dingen der Natur und des Lebens, diese vielverästelte und verzweigte Ordnung möchte ich dem Wurzelwerk des Baumes vergleichen.
Von daher strömen dem Künstler die Säfte zu, um durch ihn und durch sein Auge hindurchzugehn.
So steht er an der Stelle des Stammes. Bedrängt und bewegt von der Macht jenes Strömens, leitet er Erschautes weiter ins Werk.
Wie die Baumkrone sich zeitlich und räumlich nach allen Seiten hin sichtbar entfaltet, so geht es auch mit dem Werk.
Es wird niemand einfallen, vom Baum zu verlangen, daß er die Krone genau so bilde wie die Wurzel. Jeder wird verstehn, daß kein exaktes Spiegelverhältnis zwischen unten und oben sein kann. Es ist klar, daß die verschiedenen Funktionen in verschiedenen Elementarbereichen lebhafte Abweichungen zeitigen müssen. Aber gerade dem Künstler will man zuweilen diese schon bildnerisch notwendigen Abweichungen von den Vorbildern verwehren. Man ging sogar im Eifer so weit, ihn der Ohnmacht und der absichtlichen Fälschung zu zeihn.
Und er tut an der ihm zugewiesenen Stelle beim Stamme doch gar nichts anderes, als aus der Tiefe Kommendes zu sammeln und weiterzuleiten. Weder dienen noch herrschen, nur vermitteln.
Er nimmt also eine wahrhaft bescheidene Position ein. Und die Schönheit der Krone ist nicht er selber, sie ist nur durch ihn gegangen.“
Paul Klee: Über die moderne Kunst (Auszug)
Der vollständige Text ist veröffentlicht in Heft 91 von „Tà katoptrizómena“. Das „Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik“ erscheint ausschließlich im Internet und basiert, wie auf der Homepage nachzulesen ist, auf dem Prinzip des geteilten Wissens.
Paul Klee, der philosophierende und dichtende Maler. Danke für diesen Text und den Hinweis auf das Magazin – das ist wahrhaft geteiltes Wissen. Und Klee, einer meiner liebsten, gar nicht so abstrakt, wie es auf den ersten Blick scheint. Ich finde den Satz, von der Schönheit, die durch den Baum in die Krone hindurch ging, wundervoll.
Sehr gern, liebe Birgit. Ich habe das Magazin selbst gerade erst entdeckt und auch noch nicht viele Beiträge gelesen. Aber diese Art, Wissen zu teilen, gefiel mir ebenfalls. Und Klee war ja durchaus auch sehr konkret. Denk nur mal an seine großartigen Engel…
Ja, bei diesem ungemein produktiven Künstler findet man ja auch eine ganze Bandbreite an Stilen und Sich-Ausprobieren. Ich war im Sommer im Paul-Klee-Zentrum in Bern und wieder einmal hin und weg. Vielleicht schaffe ich noch einen Beitrag darüber, aber das dauert noch…
Ich würde mich freuen, aber mach dir bloß keinen Stress. „Notfalls“ reise ich einfach selbst mal nach Bern.
… und ich bin hin und weg von deinem zweiten Foto. Ein Kunstwerk. So schööön.
Das freut mich sehr, liebe Anna. Danke für dein Feedback!
Ja, das zweite Foto kommt sehr gut…
Na, dann… 😉
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