Versuchungen sollte man nachgeben, wer weiß, wann sie wiederkommen.
Und ob überhaupt, wie der Schriftsteller Oscar Wilde, der in seinem Leben vermutlich mehr Versuchungen nachgegeben als widerstanden hat, noch etwas zugespitzter formulierte. Ob nun wann oder ob – ich ließ mich nicht lange bitten, betrat das literarisch-verheißungsvoll beworbene Café und genehmigte mir einen extragroßen Milchkaffee.
Einen deutlich qualvolleren Umgang mit der Versuchung las ich in Rainer Maria Rilkes Der neuen Gedichte anderer Teil nach:
Nein, es half nicht, dass er sich die scharfen
Stacheln einhieb in das geile Fleisch;
alle seine trächtigen Sinne warfen
unter kreißendem Gekreisch
Frühgeburten: schiefe, hingeschielte
kriechende und fliegende Gesichte,
Nichte, deren nur auf ihn erpichte
Bosheit sich verband und mit ihm spielte.
Und schon hatten seine Sinne Enkel;
denn das Pack war fruchtbar in der Nacht
und in immer bunterem Gesprenkel
hingehudelt und verhundertfacht.
Aus dem Ganzen ward ein Trank gemacht:
seine Hände griffen lauter Henkel,
und der Schatten schob sich auf wie Schenkel
warm und zu Umarmungen erwacht -.
Und da schrie er nach dem Engel, schrie:
Und der Engel kam in seinem Schein
und war da: und jagte sie
wieder in den Heiligen hinein,
dass er mit Geteufel und Getier
in sich weiterringe wie seit Jahren
und sich Gott, den lange noch nicht klaren,
innen aus dem Jäsen destillier.
Darauf, dass der Dichter nicht nur feingeistig zu formulieren wusste, sondern gelegentlich offenbar auch mit viel Feuer im Schoß zu ringen hatte, hat gerade erst Birgit auf dem sehr geschätzten Literaturblog Sätze&Schätze aufmerksam gemacht. Was Oscar Wilde zu all dem gesagt hätte?
Eine Versuchung wird man nur dadurch los, dass man ihr nachgibt.
Vermute ich.
Jetzt hast Du es geschafft: Ich bin sprachlos. Dieser Rilke!
🙂
Dem schließe ich mich an. Miau.
„Das Pack war fruchtbar in der Nacht“ … und das kombiniert mit diesem entzückenden Kitschbild! Ich brech zusammen 😀
(Hamburg?)
Liebe Grüße
Christiane
Haha, die „Enkel der Sinne“ haben ein Gesicht! Du findest sie in Neugraben, am Ende des Falkenbergswegs vor der Waldschänke. Bist doch eine Südelbische, oder?
Bin ich. Ist nicht meine Ecke, aber danke 🙂
Liebe Grüße
Christiane
Eine doch eeeeetwas weniger bekannte Seite von Rilke 🙂 Jäsen ??
Im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm fand ich das Verb „jäsen“ für „gären“ (die lippen nur kaum an jäsendem schaum desz rothen safts zu nätzen).
den Gott destillieren aus den Gärprozessen der Sinnlichkeit – o hohe Kunst!
Du sagst es, liebe Gerda! 😉