Vorbei an rötlichen Gehöften führt unser Weg in die gleichfarbigen Sandstein-Anhöhen der Geralta-Berge, das äthiopische „Monument Valley“. Wieviel schöner sind doch diese oft von Steinmauern umgebenen Gebäude als die vielen Wellblechhäuser, die wir in Addis Abeba sahen.
Stein auf Stein aufgeschichtet und ohne Mörtel kunstvoll zusammengefügt. Wenn man näher herankommt, erkennt man, dass die Ritzen mit Lehm und dem getrockneten Dung der Tiere ausgestopft sind, die zwischen den tef-Feldern, einem nur in Äthiopien vorkommenden Brotgetreide, oder unter einem der uralten Feigenbäume geweidet werden.
Durch einen Canyon steigen wir zur Kirche Maryam Papaseyti auf. Links und rechts ragen steile Steinwände in den Himmel. Vor einem verschlossenen Tor heißt es warten, bis der Priester von der Feldarbeit herbeieilt. Ich vermute, dass die meisten Priester der äthiopisch-orthodoxen Kirche nebenher Bauern sind, denn sie finanzieren sich heute vor allem aus Spenden.
Maryam Papaseyti ist von außen sehr schlicht, liegt aber malerisch unter einem Felsüberhang. Ihr Allerheiligstes ist in den Fels gehauen, der Rest gemauert. Wunderbar farbenfrohe biblische Malereien aus dem 17. und 18. Jahrhundert schmücken die Wände. Die fein gemeißelten Gesichtszüge des Priesters, der mit einer Kerze in der Hand dekorativ an einer Mauer lehnt oder sich in einer der Nischen auf seinen Gebetsstab stützt, begeistern mich nicht minder.
Felsenkirchen findet man im gesamten äthiopischen Hochland und auch jenseits der Grenze in Eritrea. Ihre Zahl wird auf etwa 150 geschätzt. Die ältesten lassen sich bis in das 8. Jahrhundert zurückverfolgen. Die wohl bekanntesten sind die phantastischen Felsenkirchen in Lalibela, die vor mehr als 800 Jahren jeweils von oben nach unten aus einem einzigen riesigen Tuffsteinblock herausgeschlagen wurden. Von ihnen werde ich ein anderes Mal erzählen. Heute bleiben wir in den Geralta-Bergen:
Früh am Morgen nähern wir uns dem Massiv aus rotem Sandstein ein weiteres Mal, queren das Flussbett, das jetzt in der Trockenzeit kaum Wasser führt, um zu einer der am schwersten zugänglichen Kirchen des Landes aufzusteigen. Hoch oben in den noch schattigen Felsen, da, wo sich zwischen zwei steinernen Nadeln ein großes „V“ öffnet, soll sie liegen: Abuna Yemata Guh. Von hier unten ist nichts zu erkennen. Auf einem immer steiler werdenden Pfad wandern wir bergauf, gewinnen rasch an Höhe.
Bald schon stehen wir vor einer senkrechten Felswand. Da müssen wir hoch. Ab jetzt barfuß, denn der Fels ist heilig und darf nicht mit Schuhen betreten werden. Aber immerhin angeseilt. Hui, das ist sportlich! Dennoch zögere ich nicht, zu groß ist meine Neugier. Unsere einheimischen Begleiter zeigen uns Tritte, Griffe und Spalten im Stein, an denen wir uns beim Aufstieg festhalten, in die wir die Füße setzen können.
Ich konzentriere mich darauf, immer zwei Hände und einen Fuß oder aber zwei Füße und eine Hand am Fels zu haben. Das klappt besser als gedacht. Bald schon habe ich eine wenige Quadratmeter kleine Plattform erreicht, von der aus es ohne Seil weiter nach oben gehen wird. Aber erst einmal genieße ich die Aussicht auf „Marlboro Country“ und schaue zu, wie meine Gefährten oder doch die meisten von ihnen nachklettern.
Der heikelste Teil des Aufstiegs steht uns da noch bevor: Um zum Eingang der Kirche zu gelangen, müssen wir die Felsnadel in schwindelnder Höhe ein Stück umrunden – auf einem vielleicht einen halben Meter breiten Sims, rechts die glatte Felswand, links nichts als der Abgrund, mehrere hundert Meter tief. Nur nicht hinunter sehen!
Noch jetzt ist mir vollkommen rätselhaft, wie ich, die immer mit Höhenangst zu tun hatte und noch der harmlosesten Fahrt im Sessellift einen schweißtreibenden mehrstündigen Aufstieg vorzog, diese Klippe bewältigen konnte.
Durch eine Öffnung im Fels gelange ich vom Sims in den Vorraum der Kirche. Auf dem Boden vor der Holztür hockt schon der Priester, der uns in Plastiksandalen leichtfüßig wie eine Bergziege vorangeeilt war.
Als er die schwere Tür öffnet, fällt ein Lichtstrahl in die nur vom Schein unserer Stirnlampen erleuchtete Grotte. Wow! Ein Ort wie aus der Zeit gefallen. In der Höhlenkirche gibt es drei Kuppeln, die in kräftigen Farben mit den Bildern heiliger Männer bemalt sind. Abuna Yemata, einer der Neun Heiligen, die im 6. Jahrhundert die endgültige Verbreitung des Christentums im Land vollbracht haben sollen und nach der Legende zugleich Gründer dieses Gotteshauses im Fels, ist an einer der Wände zu Pferde dargestellt. Alle Malereien stammen vom Ende des 15. Jahrhunderts. Ungefähr aus dieser Zeit datiert auch die ziegenpergamentene Bibel unter dem Pult, die der Priester aus einem Lederschuber zieht und aufschlägt. Geschrieben ist sie im altäthiopischen Ge’ez, das heute nur noch Geistliche sprechen. Was für eine Pracht!
Alles an diesem Ort ist alt. Nur der Priester ist jung, erstaunlich jung. Später, als ich neben ihm auf dem Felsvorsprung darauf warte, für den Abstieg angeseilt zu werden, verrät mir der gerade einmal 25-Jährige, dass er sein Amt in dieser traumschönen Kirche, dem Himmel so nah, auch dem Umstand zu verdanken habe, dass der Aufstieg für alte Priester einfach zu beschwerlich sei. Offenbar aber nicht für Eltern mit Säuglingen. Denn Taufen fänden in diesem „Adlerhorst“ durchaus statt. Der Äthiopier: nicht nur der geborene Marathoni, sondern anscheinend zugleich ein begnadeter Kletterer. Mit vielen helfenden Händen schaffen auch wir sicher wieder den Abstieg.
Wer Lust auf noch ein bisschen schaurig-schönes Schwindelgefühl hat, mag einen Blick in dieses Video eines Lonely Planet-Fotografen über seinen Aufstieg zur Kirche Abuna Yemata Guh werfen. So tief wie der habe ich mich nicht in den Abgrund zu blicken getraut.
oh – oh, was ist das! – jetzt nur rasche blcke und drüber geflogen – muss später zurückkehren und schauen in ruhe –
Du bist jederzeit herzlich willkommen, liebe Pega Mund.
das ist ein toller bericht. und grandiose bilder! und ich weiß nicht, ob ich das gekonnte hätte … bravo, brava!
Danke schön!
How brave you are!
Ganz ehrlich: Das fand ich auch. 😉
Wunderschöne Bilder! Danke für diesen tollen Beitrag! 🙂
LG Melli
Freut mich, Melanie – ich danke dir.
Hier würde ich auch fünfmal „Gefiel mir“ anklicken oder fünfzigmal, egal. Wow!
Da „wowe“ ich mal kurz zurück: Danke für dein tolles Feedback, Anna!
Ein toller Ausflug – sogar virtuell für mich. Danke!
Wie schön, das freut mich.
Was für ein Beitrag!! Ich kann mich an den Bildern gar nicht satt sehen – wirklich wunderbar. Und Hut ab für den Mut, diesen Auf- und Abstieg zu wagen. Das hätte ich mich NIEMALS getraut! Vielen Dank für diese Impressionen.. Liebe Grüsse, Heike
Da lacht die Fotografinnen-Seele, liebe Heike. Dank dir schön für deine Zeilen.
Liebe Maren, herrjeh bist du mutig!!! Mir wird schon beim zuschauen ganz blümerant. Die felsenkirche beeindruckt mich nicht minder, es liegt viel Symbolik in diesem Aufstieg und dann in dieses alte Heiligtum zu treten! Gefällt mir sehr-
herzliche Abendgrüsse
Ulli
Ja, liebe Ulli, da kann ich nur zustimmen: Der Aufstieg war unbedingt Teil des Gesamterlebnisses. Alles so ursprünglich, unmittelbar, ganz nah. Ein Ort von großer Spiritualität, an dem ich gern länger geblieben wäre, am liebsten allein.
das glaube ich dir gerne, allein kann man eben doch besser reinspüren, aber an einem solchen Ort allein zu sein, ist wohl unmöglich, schade eigentlich …
Schöne Tour!!! Die Landschaft da ist atemberaubend & sehr geheimnisvoll mit all den uralten Kirchen. Tolle Bilder!!! (Ich muss unbedingt nochmal hin 😉
Herzlichen Dank für dein Feedback, das mich natürlich ganz besonders freut, weil es aus berufenem Mund kommt! Habe gerade noch einmal einen Blick in deine schöne Äthiopien-Galerie geworfen – und drücke nun dir (und mir selbst gleich mit) die Daumen, dass es bald mal wieder mit einer Reise ans Horn von Afrika klappt.
Ich drücke mit 😉 …und freue mich auf weitere tolle Fotos von Dir!
Ich bewundere dich. Danke für diese Tür in eine ganz andere Welt.
Viel zuviel der Ehre, lieber Holger – aber die Tür, die hab ich gern geöffnet.
Da weiß ich ja gar nicht, auf was sich meine Begeisterung zuerst richten soll: die Bilder oder diese unglaubliche Geschichte einer so ungewöhnlich „platzierten“ Kirche? Dein Bericht davon oder dein Mut? Ach manchmal wünschte ich, ich wäre auch eine Reisetante 😉
Egal, worauf, liebe Jutta, was zählt, ist die Begeisterung! Und so von Reisetante zu Manchmal-in-Gedanken-Wunsch-Reisetante: egal, ob unterwegs oder zuhause – Abenteuer und Begegnungen warten am Ende überall. 🙂 Herzlich-hanseatische Grüße!
Liebe Maren, das freut mich nun sehr, dass es dir gelungen ist, aus mir eine Bindestrich-Reisetante zu machen – wenn wir in dem Tempo weitermachen, gebe ich dir bald schon gute Tipps, das würde mir schon auch Spaß machen 😉
Und mir erst! Bin schon gespannt.
herrliche Fotos und wie immer hoch sympathischer Bericht, danke herzlich dafür. Dass du in dieser schwindelnden Höhe so gut fotografieren konntest, bravo!
Dir ein herzliches Dankeschön, liebe Gerda, ganz besonders auch für das „hoch sympathisch“. Und was die schwindelnde Höhe angeht: So ein Fotoapparat schafft ja durchaus auch Distanz.