Eine Reise nach Namibia, das ist auch eine Reise in die Geschichte des eigenen Landes. Auf unserer Fahrt von der Hauptstadt Windhoek zum Etosha Nationalpark im Norden kamen wir an dem Städtchen Okahandja vorbei. Dort hatte Anfang 1904 der Herero-Häuptling Samuel Maharero zum Aufstand gegen die kaiserlichen „Schutztruppen“ in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika aufgerufen und dort befindet sich auch sein Grab, an dem jedes Jahr an den Aufstand erinnert wird. Dass die Deutschen kamen und Handel trieben, dass sie Minenrechte erwarben und mit dem Bergbau begannen, hatten die schwarzen Einwohner des heutigen Namibia noch hingenommen. Dass sich jedoch auch immer mehr weiße Farmer ansiedelten, ließ die Herero, die traditionell von der Rinderzucht leben, um ihre eigenen Weiden und Wasserstellen fürchten. Die Spannungen mit der Kolonialmacht wuchsen von Tag zu Tag. Das Deutsche Reich entsandte schließlich ein Expeditionskorps unter Generalleutnant Lothar von Trotha, um den Aufstand niederzuschlagen.
Am 11. August 1904 kam es auf dem Waterberg, wo sich Chief Maharero mit seinem Volk verschanzt hatte, zur entscheidenden Schlacht. Lange hielten die zahlenmäßig überlegenen Herero dem waffentechnischen Übergewicht der Deutschen nicht stand: Wer nicht im Artilleriefeuer ums Leben kam, dem blieb nur die Flucht nach Osten in die Omaheke-Wüste. Für die meisten Herero gab es von dort kein Zurück. Monatelang ließ General von Trotha das riesige wasserlose Sandfeld von berittenen Patrouillen abriegeln und in der Wüste herumirrende Herero erschießen. Weiter im Süden führten die Nama, deren Führer Hendrik Witbooi sich stets geweigert hatte, mit den Deutschen „Schutzverträge“ abzuschließen, noch ein paar Jahre lang einen Guerillakrieg gegen die Kolonialherren. Zu einer zentralen Figur an dieser Front wurde der „Hottentotten-Bastard“ Jakob Morenga, nach dem Uwe Timm seinen lesenswerten historischen Roman über den Aufstand der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika benannt hat.
Am Ende des Kriegs waren mindestens zwei Drittel der Herero-Bevölkerung ausgelöscht und die Hälfte der Nama getötet. Bis zu 100.000 schwarze Afrikaner kamen insgesamt ums Leben. Überlebende wurden in Reservate deportiert. Historiker werten die Ereignisse als den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Mit dem Ersten Weltkrieg endete nach gut dreißig Jahren die deutsche Kolonialzeit. Die südafrikanische Mandatsmacht übernahm von den Deutschen das System der Rassentrennung, die Reservate wurden zu „Homelands“. Ihre Bewohner waren vor allem eines: billige Arbeitskräfte für die Diamanten- und Kupferminen, auf den Farmen und im Eisenbahnbau. Seit einem Vierteljahrhundert ist das Land nun auch von Südafrika unabhängig.
Der erste Herero, den ich auf unserer Reise durch den südwestafrikanischen Vielvölkerstaat kennenlernte, war unser Busfahrer. Rabenschwarz – und getauft auf den Namen Ewald. Ausgerechnet. Natürlich nimmt heute noch jedes Kind den Herero-Aufstand in der Schule durch, aber ansonsten scheint der Blick nicht sehr rückwärtsgewandt zu sein. Den urdeutschen Namen hat die Großmutter mütterlicherseits ausgesucht. Sie hatte lange auf einer dieser endlos großen Farmen gelebt und gearbeitet. Ihre Tochter, Ewalds Mutter, war dort zur Welt gekommen. Und Ewald, so hieß der Farmer. Offenbar ein guter Patron. Ewald selbst findet seinen christlichen Namen nicht sonderlich bemerkenswert. Außer diesem hat er noch einen Herero-Namen: Tjireke, was soviel wie „süßer Junge“ bedeute.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert herum entstand übrigens auch die traditionelle Tracht der Herero-Frauen: lange Gewänder im viktorianischen und wilhelminischen Stil, die der damaligen Kleidung der Missionarsfrauen nachempfunden sind, inzwischen nicht mehr ganz so hoch geschlossen wie die Originale und auch deutlich farbenfroher. Angeblich hatten die Missionarsfrauen den Herero-Frauen das Schneidern beigebracht, weil sie sich darüber ärgerten, dass ihre Männer immer den halbnackten schwarzen Schönheiten hinterherblickten. Die ausladende Kopfbedeckung, die zu den voluminösen Röcken getragen wird, soll an die Hörner eines Stiers erinnern. Eine Kombination, die mich bis zum Ende der Reise immer wieder in Erstaunen versetzte.
Liebe Maren, ich hätte es besser wissen können: wenn ich „eigentlich“ keine Zeit habe, dann darf ich mich deinem Blog nicht nähern. Natürlich habe ich mich sofort festgelesen, natürlich bin ich jetzt froh darüber! Vielen Dank und herzliche Grüße!
You made my day, liebe Jutta! Herzlichen Dank für dein wundervolles Feedback, das die Lust am Teilen der kleinen und großen Reiseerlebnisse noch vergrößert, und einen lieben Gruß zu dir nach Bremen!
Die Freude ist ganz auf meiner Seite 😉
Das ist die Art Reiseberichte, die ich gerne lese. Vielen Dank ! In Afrika gibt es so viel Interessantes.Mein Pech, dass ich die Hitze nicht aushalte 😦
Ich danke dir sehr für dein Interesse, liebe Myriade. Mir scheint Afrika auch ein äußerst spannender Kontinent zu sein, den wirklich zu ergründen vermutlich seeehr viel Zeit braucht. Tatsächlich war es in Namibia, obwohl es dort langsam auf den Winter zugeht, tagsüber noch ziemlich heiß, dafür nachts teilweise schon empfindlich kühl. Dieser Wechsel strengt schon ein bisschen an. Die Hitze dort ist allerdings sehr trocken und deutlich besser auszuhalten als die tropische Wärme am Äquator.
Liebe Maren, du schreibst hier über ein Thema, das bis heute Relevanz hat und Nachwirkungen zeigt – das Wüten der deutschen Kolonialmächte (und nicht nur der Deutschen), das ebenso wie zuvor die Sklaverei dazu führte, dass Afrika ja immer noch ein ausgebeuter Kontinent ist.
Das ist ein ganz großes „Fass“, das du da aufmachst, liebe Birgit. So much to say to it… Relevanz und Nachwirkungen bis heute: keine Frage. Ich war überrascht über das Ausmaß des deutschen „Erbes“ in Namibia – im Guten wie im Schlechten. Wer weiß, vielleicht schreibe ich noch mal darüber…
Lothar von Trotha. Was´n alberner Name. Und so viel unendliches Leid. Vielen Dank für den Beitrag.
Ich danke d i r für dein Interesse.
Vielen Dank, liebe Maren, für den Reisebericht und die wundervollen, tollen Fotos! Was ich an dieser Stelle unbedingt noch erwähnen möchte, ist, dass Du mir vor einiger Zeit, ist schon was her, Herrn Spohn empfohlen hattest, erinnerst Du Dich? Habe mir zwei seiner Bücher gekauft und beide schon gelesen und möchte mich bei Dir bedanken. Hat mir sehr, sehr, sehr gefallen! Liebe Grüße in ein schönes Wochenende!
Danke für dein schönes Feedback, liebe Wolkenbeobachterin! Und dass der Jürgen Spohn den Weg zu dir gefunden hat, freut mich wirklich sehr. Er ist nach seinem frühen Tod ja leider ein bisschen in Vergessenheit geraten. Hab‘ eine schöne Woche!
Das ist ja schön. Ich war vor einer Minute da um zu sehen, ob Du schon da, also hier, warst. Und da strahlt mich plötzlich gerade eine rote Sprechblase an und ich sehe, dass Du es bist. 🙂 In solchen Momenten pflegte meine Mutter zu sagen: Gedankenübertragung. Ja, die Bücher bzw. Texte von Jürgen Spohn haben mir allesamt sehr gefallen. Und ja, schade, dass er in Vergessenheit geraten ist, aber weil Du ihn nicht vergessen hattest, hast Du ihn mir empfehlen können und nun wissen wir beide. 🙂 Hab ebenfalls eine schöne Woche! Liebe Grüße von Nebenan!
Und so darf ich nicht nur tolle Bilder anschauen, sondern auch lernen … danke dir für diesen Bericht- irgendwer sagt in mir: na, das hättest du dir aber denken können, denken vielleicht schon, aber nicht wissen!
hab ein schönes Wochenende
liebe Grüsse vom Sonnenberg
Ulli
Ja, Reisen sind eine tolle Gelegenheit zu lernen. Da ist alles gleich viel greifbarer. Wahrscheinlich bin ich auch deshalb so gern unterwegs. 😉 Liebe Grüße zu dir auf den Sonnenberg!
einen lieben dank für deinen artikel und fotos, maren. bin früher viel in ghana gereist. deine bilder bringen schöne erinnerungen zurück, aber auch (kollektive) schamgefühle, die ich in elmina castle spürte. ein spaziergang durch elmina castle und anhörung geschichten aus der vergangenheit war nicht so einfach emotional zu verarbeiten; bei den mentalen bildern von den über 1 million gefolterten sklaven, vom missbrauch und demütigungen. das war früher. und jetzt zeigst du das zweifelhafte privileg des ersten völkermords in diesem jahrhundert in namibia…auf der stelle getötet, verhungert, verdurstet, totgearbeitet…nur weil man sich gegen die kolonialherren erhoben hatte…
die entschuldigung, mit der möglichkeit für versöhnung…ist hoffentlich unterwegs…für einen positiveren einfluss auf die zukunft…
Ach, Sirpa, es gibt so viele Kapitel in der afrikanisch-europäischen Geschichte, die man am liebsten gar nicht aufschlagen würde! (Natürlich werde ich dann doch gleich mal ein bisschen über Ghana und Elmina lesen.) Was die „Entschuldigung“ angeht, sehe ich eher schwarz: Meines Wissens hat sich die Bundesregierung bis heute nicht zu den Ereignissen in Deutsch-Südwestafrika Anfang des 20. Jahrhunderts geäußert.
ja, die langen schatten und die tiefen spuren kolonialer vergangenheit…
Ein wirklich schlimmes Thema, damals und heute noch. Deine Fotos, Maren, unglaublich!
Danke, Andrea! Was das Thema noch heute so schlimm macht, ist wohl vor allem die konsequente Verleugnung jeglicher Verantwortung.